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Ausführlicher Bericht über Diskussionsveranstaltung Brexit und IP/Antritrust13.12.2016

Die Österreichische Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (ÖV) veranstaltete am 28.11.2016 nach ihrer Generalversammlung eine öffentlich zugängliche Podiumsdiskussion zu den Folgen des Brexit (also des Austritts Großbritanniens aus der EU) für das IP- und das Kartellrecht und damit für die österreichische Wirtschaft.

Im Festsaal des Hauses der Kaufmannschaft (Spartenhaus) wurde von der ÖV wieder eine besonders spannende Veranstaltung vor über 80 Gästen organisiert. Dabei konnte mit George Peretz ein Rechtsanwalt und Kronanwalt (QC – Queen Counsel) aus London von Monckton Chambers Rechtsanwälte gewonnen werden, welcher einen überaus informativen Einblick zu den Hintergründen des Brexit und seinen rechtlichen Konsequenzen insbesondere für den IP-Bereich und das Wettbewerbsrecht gab.

Rechtsanwalt Peretz erläuterte zunächst, warum es unter mehreren Gesichtspunkten eine Herausforderung sei, den Brexit zu erklären. So frage man sich, wieso Großbritannien so etwas mache und niemand weiß, was nun die Folgen dieses Votums seien. Ein wesentlicher Grund für den geplanten Austritt ist aus seiner Sicht die geografische Insellage und allgemein die Geschichte des Landes. So gibt es keine Landgrenze mit einem anderen europäischen Land. Die ständigen „Grenzerfahrungen“, die viele andere Europäer machten, die in einem anderen Land arbeiten, einkaufen etc., kennen die Briten in der Regel nicht.

Aus der Geschichte heraus haben die Bewohner Großbritanniens oft mehr Beziehung und auch mehr Verwandtschaft in Kanada, Australien und Neuseeland als in Europa (in diesen Ländern leben überdies deutlich mehr Briten als in den anderen europäischen Ländern). Auch die englische Sprache zieht sie mehr in diese Länder und in die USA, und als weltweite Sprache Nummer 1 haben die britischen Schüler auch oft keine Motivation, eine Fremdsprache zu erlernen.

Dazu kommt das generelle Gefühl in Großbritannien, dass es der EU in vieler Hinsicht an ausreichender Legitimation mangelt, auf ihre Mitgliedsstaaten einzuwirken. Auch die Gesetzgebung in der EU ist wesentlich komplizierter als in Großbritannien. Damit fehlt es auch an einer entsprechenden Berichterstattung der britischen Medien über Themen der EU, welche oft als „boring“ (langweilig) angesehen werden. Auch ist der Eindruck entstanden, die Entscheidungen dort werden von „gesichtslosen Bürokraten“ in Brüssel getroffen.

Außerdem besitzt Großbritannien kein föderales System wie beispielsweise Österreich und Deutschland mit ihren Bundesländern und ist nicht daran gewöhnt, dass es unterschiedliche Rechtsebenen gibt bzw. das Europarecht sogar über dem britischen Recht steht. Besonders skeptisch ist immer gesehen worden, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Entscheidungen der britischen Höchstgerichte „overrulen“ kann bzw. ihnen die Leitlinien für ihre Entscheidungen bei europarechtlichen Fragen vorgibt. Andere Gründe sind laut Peretz noch die Wirtschaftskrise von 2008, der Euro, welcher in Großbritannien als „Desaster“ wahrgenommen wird, und die Einwanderung aus der EU. Die Folgen des Brexit-Referendums sind auch deshalb spannend, weil Großbritannien keine geschriebene Verfassung hat, wie Peretz als erfahrener Rechtsanwalt erläutert. Es ist daher unklar, wer nun die Austrittserklärung zu beschließen hat, was nun auch Gegenstand eines Verfahrens beim High Court ist.

Im Wettbewerbsrecht selber wird sich aus seiner Sicht unmittelbar nicht sehr viel ändern, weil das umgesetzte Europarecht grundsätzlich weiterhin anwendbar bleibt. Allerdings fällt die unmittelbare Kompetenz der EU-Kommission und des EuGH jedenfalls weg. Langfristig könnte sich britisches Wettbewerbsrecht und das der EU durchaus voneinander entfernen.

Beim Recht des geistigen Eigentums wie etwa im Bereich der Unionsmarken werden sich wohl Lösungen finden lassen, um auch hier für die Zukunft einen entsprechenden Schutz gewährleisten zu können. Hier meint Kronanwalt Peretz, dass die Lösung nicht so schwierig erscheint wie es manche derzeit sehen und berichtete quasi „live“ über den nur Stunden vorher verkündeten Beschluss der britischen Regierung, den Vertrag über das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung doch zu ratifizieren, wodurch es trotz des Brexit bald in Kraft treten könnte.

Dieses Einheitspatent soll nach derzeitigem Stand in 26 Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten, wobei es Österreich als erster Vertragsstaat bereits im Jahr 2013 ratifiziert hat. Mittlerweile liegen die Ratifizierungen von elf Vertragsstaaten vor. Damit es in Kraft treten kann, müssen es 13 Staaten ratifizieren, darunter die drei Länder mit den meisten Patentanmeldungen, nämlich Großbritannien, Deutschland und Frankreich.

Bei der gleichzeitig stattfindenden Sitzung des Europäischen Rates für Wettbewerbsfähigkeit vom 28. und 29.11.2016 in Brüssel kündigte die britische Regierung doch eher überraschend an, das nationale Ratifizierungsverfahren fortzusetzen. Dabei wurde aber gleichzeitig betont, dass es sich hier nicht um ein EU-Projekt handelt, sondern um einen verstärkte Zusammenarbeit zwischen einzelnen Staaten. Mit diesem aktuellen Höhepunkt beendete George Peretz QC seinen umfassenden Überblick aus britischer Sicht.

Daran anschließend bot Universitätsprofessor Florian Schuhmacher, LL.M. von der Wirtschaftsuniversität Wien einen präzisen Überblick zu den einzelnen Rechtsbereichen des geistigen Eigentums wie Patentrecht oder Markenrecht in Bezug auf den Brexit. Dabei hielt er zunächst fest, dass der Ausgang des Referendums zu einem hypothetischen Austrittsszenario Großbritanniens aus der EU geführt hat, aber genaue Rahmenbedingungen dieses Austritts derzeit noch offen sind. Der politische Prozess des Austrittsverfahrens und die politische Lösung bestimmten diese Rahmenbedingungen. Man könne nur die möglichen rechtlichen Konsequenzen aufzeigen und allfällige Lösungsvorschläge bieten.

Das Austrittsverfahren beginnt mit der Mitteilung an den Europäischen Rat, welche bisher noch nicht erfolgt ist. Die Details des Austritts sind dann in einem Abkommen auszuhandeln. Die Verträge der Europäischen Union finden ab dem Tag des Inkrafttretens des Abkommens bzw. bei keiner Einigung zwei Jahre nach der Mitteilung des Austritts keine Anwendung mehr, wobei eine einstimmige Verlängerung dieser Frist um ein Jahr möglich ist.

Die einzelnen Rechtsbereiche betreffend hielt Prof. Schuhmacher fest, dass der Austritt zunächst keine Auswirkung auf das EPÜ als Sammelpatent habe, weil das ein eigenes Übereinkommen sei. Bei dem Einheitspatent verweist er auf den Vorredner, wonach trotz Brexit offenbar nun eine Umsetzung auch dieses Projekts möglich erscheint.

Beim Markenrecht bleibt die Umsetzung der Markenrechtsrichtlinie ins nationale Recht erhalten, allerdings entfallen mit dem Austritt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts und die einheitliche Auslegung durch den EuGH. Bezüglich der Unionsmarkenverordnung (einheitliche Anmeldung einer Marke für die gesamte EU in Alicante) ist die Geltung auf das Gebiet der Union begrenzt. Die hier unmittelbar anwendbare VO verliert damit ihre nationale Geltung nach Austritt. Die Unionsmarken sind daher in Großbritannien nach einem Austritt nicht mehr geschützt. Als Optionen stehen eine Umwandlung in eine nationale Marke unter Berücksichtigung der Priorität, die Schaffung eines (nationalen) vereinfachten Umwandlungsverfahrens und eine nationale Regelung einer Benutzungsschonfrist offen. Hier wird abzuwarten sein, was im Austrittsabkommen ausverhandelt wird.

Das Gleiche gilt sinngemäß für die Geschmacksmuster, also die Musterschutzrichtlinie und die Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung. Bei den unterschiedlichen urheberrechtlichen Regelungen bleibt die Umsetzung zwar einmal erhalten, aber die Auslegung durch den EuGH und der Anwendungsvorrang fallen für Großbritannien weg. Das gilt auch für die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. Die Produktpiraterieverordnung würde für eine Außengrenze mit Großbritannien und die Einfuhr in die Union gelten.

Beim Kartellrecht ist die Lage differenzierter zu sehen.Beim Kartellverbot und der Missbrauchsaufsicht ist zu beachten, dass das EU-Kartellrecht eine Anwendung im Fall der Auswirkung auf das Gebiet der Union („Auswirkungsprinzip“) beansprucht. Insoweit unterliegt die Geschäftstätigkeit von in Großbritannien niedergelassenen Unternehmen auch nach einem Austritt weiterhin dem EU-Kartellrecht. In Großbritannien selbst gilt dagegen nur mehr nationales Kartellrecht. Die britische Wettbewerbsbehörde würde aus dem Kreis des ECN (Netzwerk europäischer Kartellbehörden) ausscheiden. Die Bindungswirkung von Entscheidungen (etwa im Bereich von Schadenersatzklagen) entfällt. Bei der Fusionskontrolle entbindet die Anmeldung und Freigabe nach der EU-FKVO nicht mehr von der Anwendung britischen Rechts und einer zusätzlichen Anmeldung bzw Freigabe in Großbritannien.

Nach diesem rechtlichen Überblick bot Gabriele Benedikter von der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) eine sehr informative Übersicht über die wirtschaftlichen Eckdaten zwischen Österreich und Großbritannien, das die Nummer 8 in der Weltrangliste der österreichischen Zielmärkte ist. Die Warenimporte und Warenexporte stiegen 2015 um mehr als 6% an, wobei in diesem Jahr beim Export nach Großbritannien die Schallmauer von 4 Mrd. € durchbrochen und damit ein All-time-high-Ausfuhrrekord aufgestellt wurde. Der Handelsbilanzüberschuss beträgt rund 1,7 Mrd. €, was den dritthöchsten Überschuss weltweit für Österreich darstellt, nach den Wirtschaftsbeziehungen mit den USA und Frankreich.

Etwa die Hälfte der Exporte entfällt auf Maschinen und Fahrzeuge (PKW, Motoren, Kfz-Teile und -zubehör, Spezialmaschinen für Gewerbe und Industrie, Hebe- und Fördervorrichtungen). Die andere Hälfte besteht aus Metallwaren, Papier und Pappe, Fertigwaren (vor allem Spielautomaten, Mess- und Prüfinstrumente) und chemische Erzeugnisse (Antisera und Blutfraktionen). Weiters sind die vom Volumen her weniger großen Nahrungsmittelexporte wichtig für das Image Österreichs auf der Insel. Es wird geschätzt, dass von ca. 250 österreichischen Tochterfirmen 50 Unternehmen dort produzieren oder assemblieren. Bei den Anderen handelt es sich um Repräsentanzen und Vertriebsniederlassungen.

Von der Stimmungslage in Österreich ist ein Ausstieg laut Benedikter zwar keine gute Nachricht, aber insgesamt reagieren viele Geschäftsführer überraschend gelassen auf den Brexit. Problematisch sieht man vor allem die bevorstehende Volatilität des Wechselkurses. Bis zu einem Austritt der Briten (frühestens Ende 2018) gibt es ohnedies gar keine Änderungen und die Chancen bleiben auch danach intakt, insbesondere wenn man innovative Produkte hat oder in Nischen tätig ist.

Aus Sicht der Wirtschaft wäre es jedenfalls wichtig, die Trennung rasch zu verhandeln und abzuwickeln, damit die Phase der Unsicherheit – nicht zuletzt mit Rücksicht auf die ohnehin großen Herausforderungen in der EU – möglichst kurz gehalten wird. Um den wirtschaftlichen Schaden möglichst gering zu halten, sollte die EU mit Großbritannien ein Abkommen aushandeln, mit dem es den Zugang zum europäischen Binnenmarkt behielte.

Dann berichtete Patenanwalt DI Alois Peham von der Siemens Österreich AG aus der Sicht eines großen österreichischen Industrieunternehmens: Großbritannien ist für Siemens ein wichtiger Markt. Der Konzern beschäftigt rund 14.000 Menschen auf der Insel und hält dort etwa 5000 aktive Patente und Patentanmeldungen. Der Brexit gefährdet keine laufenden Geschäfte oder Investitionen.

Es wird jedoch eine Periode mit großer Unsicherheit befürchtet, die generell die Beziehungen Großbritanniens mit der EU und anderen Handelspartnern betrifft. Dies gilt insbesondere auch für den IP-Sektor. Die überraschende Ankündigung der britischen Staatsministerin für geistiges Eigentum, Baroness Neville Rolfe, dass Großbritannien das Abkommen über das einheitliche Patentgericht ratifizieren werde, ist aus Sicht der Industrie ein erfreulicher erster Schritt, dem weitere vor allem in Bezug auf die Unionsmarke und das Gemeinschaftsgeschmacksmuster möglichst rasch folgen sollten, um so den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, den Übergang zu planen und bestmöglich zu gestalten.

Schließlich führte Mag. Constantin Kletzer als Partner bei Geistwert Rechtsanwälte aus der Sicht eines mit vielen Anfragen dazu befassten Rechtsvertreters aus, dass der Brexit und seine Folgen in den Köpfen der Unternehmen in Österreich noch nicht ganz angekommen zu sein scheinen. Letztlich ist es aber die Aufgabe des Anwalts, dem Klienten hier den Rücken frei zu halten, wenn z.B. jetzt munter Tochtergesellschaften in UK gegründet würden. In Großbritannien ist es jedenfalls so, dass die Rechtsanwaltskanzleien dort mittlerweile Kanzleiniederlassungen in Irland gründen, um einen Sitz in der EU zu haben.

Im Markenrecht wird sich bei den Unionsmarken einiges ändern. Zwar ist zu erwarten, dass bei den Austrittsverhandlungen auch eine Regelung über die Konversion von Unionsmarken in nationale britische Marken Eingang gefunden wird. Doch diese Konversion wird voraussichtlich einiges an Aufwand bedeuten, und es ist zu befürchten, dass von den Markeninhabern dafür Gebühren verlangt werden. Allenfalls empfiehlt es sich, in UK auch bereits jetzt national Marken anzumelden. Um den Benutzungsregeln zu entsprechen, sollte die Benutzung einer Marke in Großbritannien und EU separat dokumentiert werden.

Wichtig ist es, sich bereits jetzt rechtzeitig vor dem Brexit sämtliche Verträge anzusehen, die eine Auswirkung auf den Markt in Großbritannien haben, insbesondere Lizenz-, Vertriebs- und Abgrenzungsvereinbarungen. So stellen sich Fragen wie: Ist es wünschenswert, dass ein im Vertrag definiertes Vertragsgebiet einen Staat (Großbritannien) erfasst, der dann nicht mehr Mitglied der EU ist? Führt dies allenfalls zum Wegfall der Geschäftsgrundlage des Vertrages? Ebenso gilt es die Gerichtsstands- und Rechtsanwendungsklauseln zu prüfen, ob diese nach wie vor einen Sinn ergeben, insbesondere bei Verweis auf britisches Recht, wenn die Parteien darunter auch den Bestand an EU-Recht gemeint hatten. Allenfalls muss man Verträge kündigen oder nachverhandeln. Bei Neuabschluss von Verträgen ist schließlich zu überlegen, eine Brexit-Klausel einzufügen.

Nach dieser ausführlichen Darstellung und Diskussion wurde schließlich wieder zu einem get-together bei einem Buffet eingeladen und dort der Meinungsaustausch fortgeführt.

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