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EuGH C-179/16 - Absprachen über die Anwendung von Arzneimitteln05.04.2018

EuGH C-179/16 F. Hoffmann-La Roche Ltd. u.a.

Absprachen über Anwendung eines Arzneimittels als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung

Sachverhalt

Hoffmann-La Roche produziert die beiden Arzneimittel Avastin und Lucentis. Auf Grund einer Lizenzvereinbarung wird jedoch Lucentis von Novartis gewerblich verwertet. Während Lucentis von der Kommission und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) für die Behandlung von Augenkrankheiten zugelassen ist, ist Avastin für die Behandlung von Tumorerkrankungen zugelassen. In der tatsächlichen Anwendung wird Avastin jedoch auch für die Behandlung von Augenkrankheiten eingesetzt (und ist erheblich preisgünstiger als Lucentis).

2014 verhängte die italienische Wettbewerbsbehörde („AGCM“), gegen Roche und gegen Novartis jeweils eine Geldbuße von ca € 90 Mio. Begründet wurde dies damit, dass Roche und Novartis sich abgesprochen hätten, zwischen Avastin und Lucentis eine künstliche Unterscheidung herbeizuführen, obwohl beide Arzneimittel zur Behandlung von Augenkrankheiten verwendet werden können. So wurden zB Informationen veröffentlicht, die Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von Avastin hätten erzeugen sollen, um so die Nachfrage betreffend Augenkrankheiten zu Lucentis hin zu verlagern.

Roche und Novartis hatten gegen die Entscheidung Rechtsmittel beim Regionalen Verwaltungsgericht für Latium und in nächster Instanz bei dem Consiglio di Stato (Staatsrat) eingelegt. Der Staatsrat hat daraufhin dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens iSd Art 267 AEUV Fragen zur Auslegung des Wettbewerbsrechts der Union vorgelegt.

Rechtliche Beurteilung

Die erste Vorlagefrage betrifft die Thematik, ob Arzneimittel, die für verschiedene Krankheiten zugelassen sind, überhaupt demselben sachlich relevanten Markt zugeordnet werden können, und, wenn ja, ob in der Anwendung von Augenkrankheiten eine etwaige Unzulässigkeit von Avastin nach dem Arzneimittelrecht der Union zu berücksichtigen ist.

Der EuGH hat nun in seiner Entscheidung vom 23.1.2018 ausgesprochen, dass Arzneimittel, die bei denselben therapeutischen Indikationen eingesetzt werden können (wie Lucentis und Avastin), allgemein als substituierbar anzusehen sind und damit zum selben Markt gehören. Das Arzneimittelrecht der Union verbietet  – unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen - nicht die Verschreibung (und auch nicht die Umpackung) von Arzneimitteln bei therapeutischen Indikationen, die nicht von ihrer Zulassung erfasst sind. Würde hingegen die etwaige Rechtswidrigkeit der Voraussetzungen, unter denen solche Umpackungen oder Verschreibungen stattfinden, durch die zuständigen Arzneimittel-Behörden festgestellt, so ist auch eine Wettbewerbsbehörde an diese Prüfung gebunden und ein sachlich relevanter Markt für beide Arzneimittel zu verneinen.

Nach dem Urteil des EuGH ist die Absprache zwischen Roche und Novartis jedenfalls nicht als Nebenabrede zu ihrer Lizenzvereinbarung gerechtfertigt. Beschränkt werden sollte nämlich nicht die geschäftliche Selbständigkeit von Roche und Novartis im Zusammenhang mit Lucentis, sondern das Verhalten Dritter, insbesondere von Ärzten, um die Verschreibung von Avastin in der Augenheilkunde zugunsten von Lucentis zu verringern. Die Absprache war daher nicht objektiv erforderlich und daher keine gerechtfertigte Nebenabrede („ancillary restraint“) im Sinne des Kartellrechts.

Nach dem EuGH liegt sogar eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung vor, wenn zwei Unternehmen, die zwei konkurrierende Arzneimittel vertreiben, eine Absprache treffen, die darauf abzielt, gegenüber der Arzneimittelbehörde, Angehörigen der Heilberufe und der Öffentlichkeit irreführende Informationen über die Anwendung eines dieser Medikamente außerhalb seiner Zulassung zu verbreiten, um den Wettbewerbsdruck auf das andere Arzneimittel zu senken (wobei die Überprüfung des tatsächlichen Sachverhalts dem nationalen Vorlagegericht aufgetragen wird).

RA Mag Gerhard Fussenegger, LL.M. (King’s College, London), bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH, Wien / Brüssel

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