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Editorial und Inhalt

ÖBl [2019] 2 - Seiten 57 - 112

[EDITORIAL] von Rainer Beetz
"Rechtsstaatlichkeit & Pfefferpflanzen"


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Rechtsstaatlichkeit & Pfefferpflanzen"

Der Rechtsstaat ist derzeit in aller Munde: Es vergeht kein Tag, an dem nicht – in ganz anderem Zusammenhang – die Rechtsstaatlichkeit von Politikern aller Couleur eingemahnt bzw strapaziert wird, einschließlich ministerieller Verwirrung.

Auch der größten internationalen Organisation im gewerblichen Rechtsschutz, der Europäischen Patentorganisation (EPO), werden seit geraumer Zeit rechtsstaatliche Defizite nachgesagt, weil sich ihre unabhängige Gerichtsbarkeit bisher nicht zur vollen Blüte entfalten durfte: Die Mitglieder der das richterliche Kontrollorgan bildenden Beschwerdekammern (BK) sind zwar weisungsungebunden, jedoch nur für fünf Jahre bestellt; wenn ihnen ungebührliches Verhalten nachgesagt wird, können sie (bis zum Ablauf ihrer Amtszeit) suspendiert werden, auch wenn dies freilich widerrechtlich geschieht (instruktiv ILO-E Nr 3958). Wenig verwunderlich ist demnach, dass das Rechtsschutzdefizit auch Gegenstand der Beschwerde vor dem dt BVerfG gegen das Einheitliche Patentgerichtsübereinkommen ist, ist doch von den BK kein weiterer Rechtszug vorgesehen. Ob ein derartiges Rechtsschutzdefizit vorliegt, wird uns – hoffentlich noch 2019 – das dt BVerfG mitteilen; jedenfalls findet sich die einschlägige Rechtssache (auch) dieses Jahr wieder auf der vom dt BVerfG veröffentlichten Jahresvorschau der zur Entscheidung anstehenden Verfahren.

In der nach Redaktionsschluss ergangenen Entscheidung zu T1063/18 (daher noch nicht in der immer überaus informativen und aktuellen Rsp-Übersicht von Brunner – in diesem Heft auf Seite 81 – enthalten) hat eine EPA-BK gezeigt, wie Rechtsstaatlichkeit doch auch in einer Organisation mit vermeintlichen Rechtsschutzdefiziten funktionieren kann:

Die Patentanmeldung betraf neue Pfefferpflanzen mit verbessertem Nährwert; strittig war, ob diese Pfefferpflanzen vom Patentschutz ausgenommen sind. Die Große BK hatte in einer Grundsatzentscheidung (G 2/ 12, G 3/12) erkannt, dass sich der Ausschluss von iW biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen in Art 53 lit b EPÜ nicht auf die mit einem solchen Verfahren hergestellten Pflanzen erstreckt. Die EK sah sich durch diese Entscheidung veranlasst klarzustellen, dass es aber die Absicht des EU-Gesetzgebers der BiotechnologieRL war, derartige Erzeugnisse vom Patentschutz ausschließen. Der EPO-Verwaltungsrat, dh der einfache Gesetzgeber, sah sich wiederum veranlasst, der Regel 28 der Ausführungsordnung einen „klarstellenden“ Abs 2 anzufügen, wonach ausschließlich durch ein iW biologisches Verfahren gewonnene Pflanzen vom Patentschutz ausgenommen seien.

In ihrer richterlichen Unabhängigkeit hat die BK nun aber erkannt, dass diese Regel freilich Art 53 lit b EPÜ nicht „klarstellt“, sondern in Wahrheit ändert, wozu der Verwaltungsrat aber nicht befugt ist; da das EPÜ vorgehe, sei die Regel nicht anwendbar – hoch lebe der Rechtsstaat! Wenn die Mitgliedstaaten wirklich etwas auf rechtsstaatliche Prinzipien geben, wäre es höchste Zeit, eine Diplomatische Konferenz zur Revision des EPÜ einzuberufen und sich hierbei nicht nur der Pflanzen anzunehmen, sondern auch sogleich die BK aus dem EPA zu lösen und als völlig unabhängige dritte Säule der EPO zu installieren – träumen wird man ja noch dürfen.

Rainer Beetz

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