[EDITORIAL] von Walter Holzer:
Lost in Translation?
Die Planer des Babylonischen Turms, der nach dem Alten Testament (1. Mos. 11) bis in den Himmel ragen sollte, hatten nicht damit gerechnet, dass Gott nicht gestört werden wollte. Um die Fertigstellung zu verhindern, ließ er die am Bau beteiligten Menschen unversehens in unterschiedlichen Sprachen sprechen, sodass sie sich nicht mehr verständigen konnten (so Brockhaus Enzyklopädie). Dem globalen Patentsystem soll dieses Schicksal erspart bleiben. Der Patentturm wächst trotz allgemeiner Wirtschaftskrise um durchschnittlich 3% pro Jahr. Im Jahr 2011 kamen etwa 1,8 Millionen Anmeldungen in den verschiedensten Sprachen hinzu.
Patente werden auf Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit geprüft. Die Neuheit muss absolut, also weltweit gegeben sein. Die Neuheitsrecherchen des Europäischen Patentamts (EPA), das jährlich etwa 240.000 Anmeldungen zur Bearbeitung erhält, mussten bisher asiatische Schutzrechte unberücksichtigt lassen, sofern nicht ein englisches Abstract zur Verfügung stand.
Um Benutzern des europäischen Patentsystems über 1 Million japanische, chinesische und koreanische Schutzrechte pro Jahr zugänglich zu machen und damit die Vollständigkeit und Qualität der europäischen Recherchen zu verbessern, hat die Europäische Patentorganisation (EPO) im Jahr 2010 ein ambitioniertes Maschinen-Übersetzungsprogramm gestartet. Das Programm umfasst nicht nur europäische Sprachen, sondern infolge des Abschlusses von Verträgen mit dem Japanischen und dem Chinesischen
Patentamt auch Übersetzungen aus dem Japanischen bzw Chinesischen in die englische – und sodann in die deutsche und französische – Sprache. Zusätzlich werden Übersetzungen aus dem Russischen geliefert. Ob die Qualität der Maschinenübersetzungen die Qualität der Sachprüfung verbessert, bleibt abzuwarten. In einem Streitfall kommt man natürlich ohne
eine menschliche Übersetzung nicht aus.
Ab dem Sommer 2013 werden zunächst Übersetzungen Chinesisch – Englisch und Japanisch – Englisch auf der Internetseite des EPA zur Verfügung stehen. Das gebührenfreie Service ermöglicht allen Benutzern des Patentsystems Zugang zu technologischer Information aus Asien. Am fernöstlichen Patentboom ist neben Japan mit etwa 350.000 Anmeldungen pro Jahr insb China beteiligt, bei dessen Patentamt jährlich etwa 400.000 Anmeldungen hinterlegt werden, wobei diese Zahl bis zum Jahr 2015 auf etwa 750.000 anwachsen soll. Das europäisch geschulte Chinesische Patentamt wird dann über doppelt so viele Prüfer verfügen wie sein europäischer Partner und damit das größte Amt der Welt werden. Am Patentturm wird also weiter gebaut werden.
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