Auf dem diesjährigen Kongress der Internationalen Liga für Wettbewerbsrecht (LIDC) von 11. bis 14. Oktober in Prag erörterten Juristen aus Europa, Nord- und Südamerika sowie aus Asien aktuelle Fragen des Wettbewerbs- und Kartellrechts.
Die 1930 gegründete LIDC (Ligue internationale du droit de la concurrence) hielt ihre alljährliche Tagung samt Generalversammlung heuer in der Hauptstadt der tschechischen Republik ab. Rund 100 Teilnehmer aus 22 Ländern fanden sich in Prag ein, um verschiedene, relevante Themen aus diesem dynamischen Rechtsbereich zu diskutieren. Österreich war auch dieses Jahr mit sieben Teilnehmern wieder gut vertreten (darunter Rechtsanwälte sowie Juristen der Bundeswettbewerbsbehörde und des Schutzverbandes gegen unlauteren Wettbewerb).
Wie jedes Jahr befassten sich die einschlägig spezialisierten Juristen aus Wirtschaft, Rechtsvertretung und -beratung sowie von Universitäten und wettbewerbsbehördlichen Institutionen mit zwei ausgewählten Kernfragen aus dem Gebiet des unlauteren Wettbewerbs bzw des Kartellrechts, zu denen jeweils eine gemeinsame Stellungnahme (Resolution) erarbeitet werden sollte. Darüber hinaus standen Vorträge und Podiumsdiskussionen zu weiteren, aktuellen Themenbereichen auf dem Programm der Liga-Tagung, die im Sinne eines Meinungs- und Erfahrungsaustausches auf internationaler Ebene zu einer Weiterentwicklung und Förderung der Prinzipien für einen fairen Wettbewerb beitragen soll.
Im Anschluss an die Eröffnung des Kongresses durch die Präsidentin der LIDC, Mary Claude Mitchell aus Frankreich, behandelte zunächst ein ausgewiesenes Expertenforum unter der Leitung von Rechtsanwalt Wolfgang Rehmann (Taylor Wessing, München) die komplexe Fragestellung eines gerechten patentrechtlichen Schutzes für Original-Arzneimittel im Spannungsverhältnis zu den wettbewerbs- und gesundheitspolitisch erwünschten Markteintrittsmöglichkeiten für Generika-Produkte. Wie anschaulich dargelegt wurde, führen hier unterschiedliche Ansichten über Inhalt und Geltungsdauer von pharmazeutischen Patenten vor dem Hintergrund eines global (und insbesondere auch europäisch) uneinheitlichen Rechtsschutzes zu einer Vielzahl von aufwendig geführten Rechtsstreitigkeiten. Andererseits sind auf diesem Markt – wie ein Vertreter der Europäischen Kommission berichtete – immer wieder auch unzulässige wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen den beteiligten Unternehmen zu beobachten, die von den Kartellbehörden gegebenenfalls mit Geldbußen in Millionenhöhe geahndet werden.
Die erste der beiden zentralen Fragestellungen des Kongresses betraf ebenfalls ein kartellrechtliches Thema, und zwar (Frage A) ob bzw inwieweit es für kleine und mittlere Unternehmen gesonderte Kartellrechtsvorschriften geben soll. Der internationale Berichterstatter dazu, Michele Carpagnano (Rechtsanwalt und Professor an der Universität Trient), erläuterte, dass es hier weniger um eine andere Bewertung unternehmerischen Verhaltens aufgrund wirtschaftspolitischer Überlegungen gehe als vielmehr um eine sachgerechtere, auf die Unternehmensgröße Bedacht nehmende Anwendung von Kartellrechtsnormen. Es sei für kleine und mittelständische Unternehmen schon oft mangels juristisch ausgebildeter Mitarbeiter schwierig, die Kartellrechtswidrigkeit ihres Verhaltens überhaupt zu erkennen. Auch in prozessualer Hinsicht seien, im Falle eines Verfahrens vor den Kartellbehörden, die zu überwindenden Hürden für kleinere Unternehmen größer und sollte darüber nachgedacht werden, inwieweit es hier zusätzliche Unterstützung beim Rechtszugang geben könnte. In der anschließenden Diskussion zu diesem Thema wurde deutlich, dass durchaus Einigkeit darin besteht, die besondere Position von Unternehmen geringerer Größe in Bezug auf Kartellrechtsverstöße zwar zu berücksichtigen, dass es aber nicht notwendig und sinnvoll sei, in diesem Zusammenhang generell eine eigene gesetzliche Definition für „kleine und mittlere Unternehmen“ festzulegen bzw deren Marktverhalten der Sache nach grundsätzlich anders zu beurteilen. Dies wurde auch in der dazu angenommenen Resolution zum Ausdruck gebracht, in der zugleich angeregt wurde, die Information und Aufklärung kleinerer und mittlerer Unternehmen durch die Kartellbehörden zu intensivieren, diesen Unternehmen verstärkt die Möglichkeit der Anonymität im Verfahren vor den Behörden zu bieten (inklusive Adaptierung und Ausweitung der Kronzeugenregelungen) sowie rechtliche Hilfestellungen und finanzielle Erleichterungen bei der Rechtsdurchsetzung, insbesondere auch von Schadenersatzansprüchen (zB durch Beweiserleichterungen), zu gewähren.
Die zweite, wissenschaftlich und auch aus praktischer Sicht zu beleuchtende Frage des Kongresses betraf den immer wieder aktuellen Themenkreis der unlauteren Ausnützung einer fremden Leistung (Frage B): Inwieweit sollen Unternehmen wettbewerbsrechtlichen Schutz gegen die Verwendung ihrer Unternehmenskennzeichen durch Nicht-Konkurrenten erhalten? Hinter dieser Frage steht das Phänomen der oft zu beobachtenden „Anlehnung“ an den guten Ruf eines fremden Produkts bzw Unternehmens, eben auch durch Unternehmen einer anderen Branche, was besonders dann zu unterschiedlichen rechtlichen Beurteilungen führen kann, wenn keine Verletzung eines gewerblichen Schutzrechts vorliegt. In ihren ausführlichen Erläuterungen dieser Problematik legte die französische, internationale Berichterstatterin, Martine Karsenty-Ricard (J.P. Karsenty & Associés, Paris), dar, wie sehr es angesichts der Vielfalt unternehmensspezifischer Merkmale, aus denen sich ein „brand image“ (Markenimage im weiteren Sinn) zusammensetzt, eines umfassenden Schutzes dieses bedeutenden Unternehmenswertes („goodwill“) gerade auch durch lauterkeitsrechtliche Vorschriften bedarf. Da es hier um einen umfassenden, generellen Schutz der Unternehmensidentität gegen ein „Mitnaschen“ gehe, seien wettbewerbsrechtliche Abwehrmaßnahmen auch ohne Vorliegen eines Konkurrenzverhältnisses schon allein aufgrund der solcherart täuschenden Verwendung fremder Unternehmenskennzeichen und -merkmale im geschäftlichen Verkehr gerechtfertigt. In diesem Sinne wurde auch in der gemeinsam formulierten Resolution der LIDC festgehalten, dass ein „Markenimage“ allgemein einen wettbewerbsrechtlichen Schutz vor Ausbeutung durch Unternehmen anderer Branchen verdient, wobei aber im Einzelnen nachzuweisen ist, dass hier tatsächlich ein solches Image besteht und entsprechende Assoziationen der Verbraucher stattfinden. Die in den Mitgliedsländern und auf internationaler Ebene bestehenden Rechtsvorschriften werden durchaus als ausreichend beurteilt, diesen Schutz zu gewährleisten, sodass es keiner zusätzlichen, spezifischen Regelungen bedürfe.
Die daran anschließende, zweite Podiumsdiskussion betraf – wie schon die erste – wieder den Arzneimittelmarkt, und zwar die kartellrechtliche Problematik der Beschränkungen des Parallelhandels. Aufgrund der unterschiedlichen Preise für Arzneimittel in den einzelnen Ländern bedingt durch staatliche Preisfestsetzung kommt es zu Parallelimporten von günstigeren (Original-)Arzneimitteln aus Niedrigpreisländer in Hochpreisländer, was die jeweiligen Hersteller wegen der ihnen entgehenden Umsätze durch verschiedene wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen zu verhindern versuchen. Unter dem Vorsitz des Präsidenten der französischen Wettbewerbsbehörde (Autorité de la Concurrence), Bruno Lasserre, ging man der Frage nach, ob sich das internationale Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen in diesem Bereich allgemein eher an wirtschaftlichen Kriterien oder an gesundheitspolitischen Aspekten orientiere. Nach einer Veranschaulichung des Systems des internationalen (Großhandels-)Vertriebs von Arzneimitteln durch Alexander Natz (deutscher Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie und EUCOPE) und dessen Wechselwirkungen mit der Bedarfsdeckung in den jeweiligen Ländern durch Professor Panos Kanavos (London School of Economics) wurde erörtert und darüber diskutiert, welche Rolle hier kartellrechtlichen Normen in Bezug auf einen adäquaten Interessensausgleich zukommen sollte. Wie Henri Piffaut (EU-Kommission) als vierter Teilnehmer am Podium erläuterte, seien im Wesentlichen einerseits von den Herstellern ausgehende Mengen- bzw Lieferbeschränkungen, andererseits Preisspaltungsmethoden („dual pricing“) zu beurteilen, insbesondere im Hinblick auf das mögliche Vorliegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Wegen der Besonderheiten des Arzneimittelsektors und der Tatsache, dass Parallelimporte an sich erst durch staatliche Preisregulierungen hervorgerufen werden, könnten – so war man sich einig – sachgerechte Beurteilungsmaßstäbe nur durch eine differenzierte Beurteilung unter Berücksichtigung gesundheitsökonomischer Faktoren gefunden werden.
Im Mittelpunkt der dritten und abschließenden Diskussionsrundeam nächsten Tag standen Fragen rund um das sogenannte Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen, kurz ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement). Mit diesem Abkommen auf völkerrechtlicher Ebene, dessen tatsächliches Zustandekommen mittlerweile fraglich ist, soll(t)en gemeinsame Mindeststandards für die Durchsetzung von Schutzrechten des geistigen Eigentums festgelegt werden, insbesondere bei Marken- und (digitalen) Urheberrechtsverletzungen. Professor Anselm Kamperman Sanders (Universität Maastricht) erläuterte als Podiumsvorsitzender zunächst die – teilweise auch in der Öffentlichkeit massiv vorgetragenen – Kritikpunkte zu diesem Abkommen, das im Juli dieses Jahres auch durch das Europäische Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt worden war. Die nachfolgenden Referate von Lothar Ehring (EU-Kommission), Paulo Vergano (Rechtsanwalt, FratiniVergano, Brüssel) und Martin Steiger (Rechtsanwalt, Zürich) befassten sich dementsprechend mit der aktuellen rechtlichen Situation „ohne ACTA“, wobei übereinstimmend auf die vorhandenen Grundlagen durch das TRIPS-Abkommens (Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des Geistigen Eigentums, 1994) und das Bestehen zahlreicher bilateraler Verträge hingewiesen wurde.
In der anschließend abgehaltenen Generalversammlung der LIDC wurden – jeweils einstimmig – der ungarische Rechtsanwalt Dr. Gustav Bacher (Budapest) zum neuen Vorsitzenden der Liga und Rechtsanwalt Dr. Michael Meyenburg aus Wien zum 1. Vizepräsidenten bestellt. Zu weiteren Vizepräsidenten wurden Antonio Faria Correa (Brasilien) and Shinichiro Tanaka (Japan) ernannt, was die internationale Ausrichtung der LIDC über die Grenzen der EU hinaus unterstreicht.
Auch dieses Jahr wurde die Erörterung aktueller juristisch-wissenschaftlicher Fragestellungen wieder von einem attraktiven Rahmenprogramm begleitet: Neben einem gemeinsamen Besuch des Mucha Museums, das dem Leben und Werk des tschechischen Jugendstilkünstlers Alfons Mucha (1860-1939) gewidmet ist, bildete ein Galadinner im barocken Ambiente des Troja Château den kulinarisch-gesellschaftlichen Höhepunkt des Kongresses. Am Sonntag konnten die Teilnehmer schließlich noch im Rahmen einer Führung durch die berühmte Pilsener Brauerei hinter die Geheimnisse der Braukunst nach tschechischer Tradition blicken.
Weitere Informationen finden Sie unter www.ligue.org.
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