von Sonja Dürager, Rechtsanwältin bei bpv Hügel Rechtsanwälte OG
Vorbemerkung
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im November letzten Jahres zur Störerhaftung der Eltern für das Filesharing ihrer Kinder Stellung genommen. Diese von der enttäuschten Musikindustrie auf der einen Seite und den beruhigten Elternvertretern auf der anderen Seite kontrovers diskutierte Entscheidung wurde mittlerweile vom BGH im Volltext veröffentlicht (BGH 15.11.2012, I ZR 74/12). Tenor des Urteils: Der Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes Kind wird dadurch genüge getan, dass das Kind über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Internetbörsen aufgeklärt wird; eine Überwachung des Kindes bei der Internetnutzung wird nicht verlangt.
Der Sachverhalt
Im Jahr 2007 wurde von deutschen Tonträgerherstellern wegen des unzulässigen Angebots von 1147 Audiodateien in einer Internettauschbörse zum kostenlosen Download gegen unbekannte Täter Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft fand aufgrund der IP-Adresse den verdächtigen Internetanschluss heraus. Der 13-jährige Sohn der Kunden dieses Internetanschlusses hatte auf seinem PC, der ihm von den Eltern samt Internetanschluss überlassen worden war, die Filesharing-Programme Morpheus und Bearshare installiert, und damit eine Vielzahl an Musiktiteln, die auf Ordnern dieses PCs abgelegt waren, öffentlich zugänglich gemacht. Der Minderjährige rechtfertigte sich damit, nicht gewußt zu haben, dass er die heruntergeladenen Titel auch über die Tauschbörse zur Verfügung stelle. Die Eltern des Minderjährigen gaben zwar eine Unterlassungserklärung gegenüber den Tonträgerherstellern ab, weigerten sich hingegen Schadenersatz und Abmahnkosten zu zahlen. Daraufhin wurden diese wegen Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht von den Tonträgerherstellern geklagt. Im Verfahren wurde festgestellt, dass die Eltern mit dem Kind das Thema des illegalen Downloads von Musik besprochen und es über Verhaltensregeln im Internet aufgeklärt hatten, allerdings nicht deren Einhaltung überwacht und auch keine hinreichenden technischen Sicherheitsmaßnahmen (insbesondere war keine Firewall sachgerecht installiert) getroffen haben. Das LG Köln gab der Klage gegen die Eltern statt. Eine Berufung dagegen blieb erfolglos, weshalb von den geklagten Eltern Revision erhoben wurde. Der BGH änderte daraufhin das erstinstanzliche Urteil und wies die Klage ab.
Die Begründung
Zur Verletzung der Aufsichtspflicht der Eltern (§ 832 BGB) bei der Nutzung des Internet durch die Kinder vertritt der BGH die Auffassung, dass diese ihrer Aufsichtspflicht, „wenn es sich um ein normal entwickeltes 13-jähriges Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig dadurch genügen, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten“ (vgl BGH Rz 24). Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen (zB durch Installation einer Firewall, welche die Installation neuer Programme verhindert), den Computer des Kindes zu überprüfen (zB durch monatliche Kontrollen der Softwareliste) oder dem Kind den Zugang zum Internet zu versperren, besteht nicht. Erst dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Eltern bestünden, dass das Kind den Verhaltensregeln zuwiderhandelt, wäre nach der Auffassung des BGH eine Kontrolle verpflichtend.
Der BGH verneinte im weiteren eine „Störerhaftung“ der Eltern gemäß § 97 dUrhG[1] dadurch, dass sie den Internetanschluss zur Verfügung gestellt haben. Die Haftung als Störer setzt eine Verletzung von Prüfpflichten voraus, und die Prüfpflichten, die Eltern aufgrund der Zurverfügungstellung des Internetanschlusses haben, entsprechen jenen die Eltern aufgrund ihrer Aufsichtspflicht bei der Internetnutzung haben. Da den Eltern keine Verletzung der Prüfpflichten gemäß § 832 BGB zum Vorwurf gemacht werden konnte, waren sie auch nicht als Störer für den Urheberrechtsverstoß verantwortlich.
Bemerkung zum Urteil
Mit diesem Urteil hat der BGH klargestellt, dass ohne konkreten Anlass keine Pflicht zur Beaufsichtigung der Kinder bei der Internetnutzung besteht, und nicht einmal besondere technische Sicherheitsmaßnahmen installiert werden müssen. Der BGH geht dabei aber gleichzeitig von einer Pflicht der Eltern zur Aufklärung und Information der Kinder über rechtskonformes Verhalten im Internet aus. So konstatiert der BGH für den gegenständlichen Fall, dass die Eltern mit ihren Kindern immer wieder über das Thema des illegalen Downloads von Musik und Filmen aus dem Internet diskutiert und ihnen dies ausdrücklich untersagt haben. Selbst, wenn daher Eltern davon befreit sein sollen, ihren Kindern „nachzuspionieren“, so haben sie ihre Kinder doch zumindest zu verkehrsgerechtem Verhalten anzuleiten, um nicht selbst wohlmöglich dem Vorwurf einer Urheberrechtsverletzung ausgesetzt zu sein. Zu Umfang und Inhalt dieser Anleitungspflicht äußert sich der BGH nicht, sondern hält nur in concreto fest, dass „eine besonders intensive Belehrung im Hinblick darauf nicht erforderlich sei, dass es sich um ein normal entwickeltes, einsichtsfähiges und verhaltensunauffälliges 13-jähriges Kind handelte“ (vgl BGH Rz 29). Hervorzuheben ist dabei allerdings, dass die Instruktion der Kinder im Anlassfall bereits konkrete Rechtsverletzungen im Internet anspricht, weshalb für weitere Fälle angenommen werden könnte, dass die Aufklärung sämtliche Bedrohungen im Internet zu erfassen hat (Gefahr durch Schadprogramme, Rufschädigung, Online-Bullying etc).
Spannend bleibt außerdem, ob der BGH diese Argumentation zu Aufklärungs- und Prüfpflichten auch für die Beantwortung der Frage nach der Haftung von Anschlussinhabern für das Verhalten volljähriger Internetnutzer (zB volljährige Kinder oder Ehegatten) anwenden wird. Es ist aktuell ein Verfahren vor dem BGH[2] anhängig, das genau diese Frage behandelt.
Rechtslage in Österreich
Der OGH hat im Jahr 2008[3] in einem Provisorialverfahren auch bereits zur Haftung der Eltern für ihre Kinder, die P-2-P-Tauschbörsen nutzen, entschieden. Damals wurde dieser Vater als Gehilfe eines Urheberrechtsverstoßes auf Unterlassung gemäß § 81 UrhG in Anspruch genommen wurde, was vom OGH abgelehnt wurde. Die Haftung als Gehilfe würde verlangen, dass dieser den rechtswidrigen Sachverhalt kennt oder zumindest eine diesbezügliche Prüfpflicht verletzt. Eine Kontrollpflicht des Vaters bezüglich der Internetaktivitäten seiner Tochter wurde allerdings verneint, weil ihm die Funktionsweise von Filesharing-Systemen nicht bekannt war und nach Meinung des OGH (zumindest damals) nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt werden konnte. Im konkreten Fall hatte – ähnlich wie bei der besprochenen Entscheidung des BGH – eine Belehrung der Tochter dahin stattgefunden, dass sie den Internetanschluss nur im Rahmen der Legalität nutzen dürfe. Zu Umfang und Inhalt der Aufklärungs- und Instruktionspflichten nahm der OGH allerdings nicht Stellung. Es ist daher auch noch in Österreich nicht vollständig geklärt, unter welchen Umständen eine Haftung der Anschlussinhaber als Störer für Rechtsverletzungen der Personen in ihrem Haushalt in Betracht kommt.
[1] Störer nach der deutschen Rechtsprechung ist jeder, der in irgendeiner Weise willentlich und kausal an der Herbeiführung oder Aufrechterhaltung einer rechtswidrigen Beeinträchtigung (Störung) mitwirkt, sofern es ihm tatsächlich und rechtlich möglich und zumutbar ist, die konkrete Rechtsverletzung zu verhindern (zB BGH 30.4.2008, I ZR 37/05 – Internetversteigerung III).
[2] BGH I ZR 169/12.
[3] OGH 22.1.2008, 4 Ob 194/07v.
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