[EDITORIAL] von Walter Holzer
Die Pionierrolle
Was bisher geschah: Österreich hat das Übereinkommen über ein europäisches Einheitspatentgericht am 8. 8. 2013 als erster und bisher einziger Mitgliedstaat ratifiziert – wie zu hoffen ist, nicht nur aus wahltaktischen Überlegungen. Dem Beschluss im Nationalrat am 6. 7. 2013 (dafür: S, V, F, T – dagegen: G, B) folgte der einspruchslose Beschluss im Bundesrat (839/BNR) am 18. 7. 2013.
Seit geraumer Zeit wird ein Verzicht Österreichs auf eine lokale Gerichtskammerkolportiert (ua Editorial von Wiltschek, ÖBl 2012, 1), zunächst zugunsten eines Anschlusses an Deutschland (das den Anschluss ablehnte; jetzt wünscht sich Österreich angeblich Slowenien als Partner).Argumentiert wird von politischer Seite mit der zu geringen Anzahl von
Patentstreitverfahren, der Überforderung der Gerichte und den zu erwartenden
Kosten. Letzteres trotz der Tatsache, dass diverse Kostenfragen im
Rahmen des Einheitspatents derzeit noch völlig offen sind.
Eine Zusammenarbeit mit Deutschland oder Slowenien würde formal die Einrichtung einer gemeinsamen Regionalkammer bedeuten. Deutschland,das selbst vier Lokalkammern gründet, will das aus heutiger Sicht
nicht.
Die Zeit läuft. Sollten weitere 12 Länder dem Beispiel Österreichs folgen (Deutschland, Frankreich und Großbritannien bereiten die Ratifizierung vor), tritt das Abkommen über das Einheitspatent mit dem zugehörigen Gerichtssystem voraussichtlich 2015 in Kraft. Da in Österreich in Zukunft alle Einheitspatente ohne weitere Validierungsmaßnahme wirksam werden, ist mit einer Zunahme an Streitfällen zu rechnen.
Aus Sicht interessierter Kreise ist unverständlich, dass einerseits
- Österreich das Gesamtpaket samt Einheitsgerichtsübereinkommen frühzeitig als erster Staat ratifiziert und damit, wie das Außenministerium (BMEIA) mit Stolz feststellt, eine „Pionierrolle“ übernommen hat,
- Österreich die Finanzierung des Einheitspatentgerichts ab dem Inkrafttreten während der 7-jährigen Übergangsfrist mitzutragen hat,
- Österreich Streitfälle im Rahmen der GemeinschaftsmarkenVO einem (lokalen) Gemeinschaftsmarkengericht unterwirft, und-andererseits
- Österreich, das seit jeher ein europäisches Vorzeigeland in Patentstreitsachen war, sowohl hinsichtlich der Qualität zufolge fachkundiger Senate als auch hinsichtlich zügiger Verfahrensdurchführung und Kosten, diesen Vorteil nicht als Mitgift in eine lokale Kammer am HG Wien mit österr Richtern und aus einem Richterpool zugeteilten ausländischen Richtern einbringt.
Die Finanzierung einer lokalen Kammer könnte während der 7-jährigen Übergangsfrist zweifellos über entsprechende Gerichtsgebühren sichergestellt werden. Ein lokaler Gerichtstand würde vermeiden, dass vor allem österr Inhaber von Einheitspatenten sich mit ihren Verletzungs- und Nichtigkeitswiderklagen an die Zentralkammer in Paris bzw deren Abteilungen in London oder München wenden müssen. Ein Umdenken in Sachen Lokalkammer würde die „Pionierrolle“ Österreichs bestätigen und den nicht nur im Ausland erhobenen Vorwurf, Österreich verfüge über keine nationale IP-Strategie, etwas abmildern. Dass Österreich gemeinsam mit einem anderen Staat, wie zB Slowenien eine Regionalkammer beantragt, verursacht kaum geringere Kosten als eine lokale Kammer in Österreich, wäre aber eine weitere Schwächung des gewerblichen Rechtsschutzes in Österreich.
Walter Holzer
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