Der alljährliche Kongress der Internationalen LIGA für Wettbewerbsrecht fand dieses Jahr von 30. September bis 3. Oktober in Bordeaux statt und beschäftigte sich mit aktuellen Fragen insbesondere auch des Kartellrechts.
Die französische Landesgruppe AFEC (Association Française d’Etude de la Concurrence) als Veranstalter dieser Tagung konnte rund 160 Juristen aus Europa, Nord- und Südamerika sowie Asien zu der jährlichen Tagung der LIDC (Ligue Internationale du Droit de la Concurrence), also der Internationalen LIGA für Wettbewerbsrecht begrüßen.
Aus Österreich reiste eine zwölf Personen starke Delegation nach Bordeaux und stellte die drittgrößte Gruppe nach dem Veranstalterland Frankreich und Belgien dar. Sie umfasste Juristen der Bundeswettbewerbsbehörde, der Wirtschaftskammern Österreich und Wien, des Schutzverbandes gegen unlauteren Wettbewerb sowie Rechtsanwälte mit Spezialisierung auf Wettbewerbsrecht. Das besonders große Interesse war auch gegeben, weil letztes Jahr der Kongress in Wien erfolgreich von der österreichischen Landesgruppe organisiert wurde und bei dieser Tagung ein verstärktes Interesse an der Arbeit der LIGA bei den in diesem Bereich tätigen Institutionen, Verbänden und Kanzleien geweckt werden konnte.
Die LIGA mit ihrem Verwaltungssitz in Lausanne befasst sich seit 1930 mit allen Fragen des Wettbewerbrechts und seinen Beziehungen zum gewerblichen Rechtsschutz. Die Mitglieder der nationalen Gruppen der LIGA kommen aus rechtsberatenden Berufen, Universitäten, Unternehmen, Verbänden und Behörden. Träger der LIGA in Österreich ist die schon über fünfzig Jahre bestehende Österreichische Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, welcher auch Herausgeber der ÖBl ist.
Zur Erreichung Ihrer Ziele veranstaltet die Internationale Liga für Wettbewerbsrecht ein jährliches Treffen der Ländergruppen, an dem zwei Fragen des aktuellen Wettbewerbsrechts, gewerblichen Rechtsschutzes oder Kartellrechts diskutiert und Lösungen erarbeitet werden. Ein internationaler Berichterstatter verfasst für jeden der behandelten Themenbereiche einen ausführlichen internationalen Bericht, der die Erkenntnisse und Analysen der nationalen Berichte durch die Landesgruppen zusammenfasst und auswertet.
Dieser internationale Bericht ist die Grundlage für die intensive Diskussion und den Erfahrungsaustausch der Teilnehmer. Die Ergebnisse dieser Tagungen in Form von Resolutionen werden zusammen mit den ihnen zugrunde liegenden nationalen und internationalen Berichten, ebenso wie die sonstigen Arbeitsergebnisse der Internationalen Liga für Wettbewerbsrecht auf der Website der Liga veröffentlicht. Weiters werden sie an nationale und internationale Institutionen weitergeleitet.
Das Programm dieser Kongresse wird durch Vorträge und Podiumsdiskussionen zu aktuellen Themen des Wettbewerbsrechts ergänzt, wobei dabei sowohl Teilnehmer des jeweiligen Veranstalterlandes als auch Experten aus dem Ausland wie zB der Europäischen Kommission vertreten sind. Die Website der LIGA ist unter www.ligue.org abrufbar.
Den Eröffnungsvortrag des Liga-Kongresses hielt der Vorsitzende der französischen Wettbewerbsbehörde Bruno Lasserre, welcher einen ausführlichen Überblick über den Verlauf des Wettbewerbsrechts in Frankreich mit entscheidenden Wendepunkten gab. Dabei schilderte er einprägsam, dass das Wettbewerbsrecht keineswegs ein langer, ruhiger Fluss sei, sondern immer wieder Wirbelströmungen entstünden. Ergänzend wurde am Vortag ein Forum an der renommierten französischen Richterhochschule in Bordeaux (Ecole nationale de la magistrature) mit mehreren Vertretern der französischen Gerichtsbarkeit abgehalten, wo die Rolle des nationalen Richters bei der Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts dargestellt wurde.
Eine der beiden schon lange im Vorfeld der Tagung ausgewählten Rechtsthemen beschäftigt sich mit Fragen aus dem Kartellrecht und befasste sich in Bordeaux mit folgender Fragestellung: „In welchen Fällen und in welchem Maße sollten Preisabsprachen oder ein den Preis betreffender Informationsaustausch in vertikalen Beziehungen durch das Wettbewerbsrecht verboten sein?“
Dazu stellte zunächst die internationale Berichterstatterin Rechtsanwältin Elisabeth Eklund (Kanzlei Delphi, Stockholm) die Rechtslage in Europa, Japan und Brasilien aufgrund der zahlreichen nationalen Berichte vor. Nach angeregter Diskussion unter dem Vorsitz von Professor Christian Bovet (Dekan der juridischen Fakultät der Universität Genf) wurde dazu eine Resolution angenommen. Darin verwies die Liga zuerst auf den Paradigmenwechsel in den USA und der EU und formulierte anschließend global umsetzbare Lösungsvorschläge.
Im Detail wurden auf Grundlage der jüngsten Entwicklungen in der US-Rechtssprechung (Rs Leegin) und der ökonomischen und rechtlichen Neubewertung der „Preisbindung der zweiten Hand“ (resale price maintenance, RPM) in den Leitlinien für vertikale Beschränkungen der EU-Kommission 2010 von der Berichterstatterin Elisabeth Eklund Resolutionsvorschläge unterbreitet, unter welchen Umständen RPM und vertikaler Informationsaustausch betreffend Preise innerhalb eines Vertriebssystems keine Wettbewerbsbeschränkung bilden oder freistellungsfähig sein sollten.
Sowohl die wettbewerbsökonomische Literatur als auch die bisherige Fachdiskussion haben eine Reihe möglicher positiver und negativer Wirkungen von RPM aufgelistet, die sich je nach den Umständen des Einzelfalls bzw den Bedingungen in einer konkreten Branche einstellen können. Es waren daher für die Zwecke der Fassung einer LIDC-Resolution Bedingungen zu formulieren, welche es erlauben, auf gesicherter Basis unproblematische Fälle von RPM zu identifizieren, aber gleichzeitig über die bestehenden Rechtslagen in Europa und den USA hinauszugehen.
Es wurde konkret vorgeschlagen, gewisse „Safe Harbour Regeln“ aufzustellen, die den betroffenen Wirtschaftskreisen ein höheres Maß an Rechtssicherheit bieten können. Neben der klassischen Preisbindung der zweiten Hand (sei diese nur empfohlen oder einen Mindest- oder Höchstpreises betreffend) wurden auch nationale Beispiele für den Austausch von Preisinformationen zwischen Händlern einerseits und dem Hersteller/Lieferanten andererseits aufgezeigt, die entweder zulässige Verhandlungen über individuelle Preisgestaltungen darstellen können oder horizontale Preisabsprachen im trilateralen Verhältnis zwischen Händler/Lieferant und weiteren Händler bilden. Vor allem das Bundeskartellamt in Deutschland verfolgt hier eine strenge Linie und deutet Hinweise auf Preisinterventionen eines Händlers über die Preispolitik eines anderen Händlers beim gemeinsamen Lieferanten als Nachweis für eine horizontale Abstimmung auf Händlerebene.
Besonders kontrovers wurde Punkt zwei der Resolution diskutiert, worin eine umfassende gesamtwirtschaftliche Bewertung jeder einzelnen RPM Maßnahme – auch bei fixen Mindestpreisen – vorgeschlagen war. Es wurde darauf hingewiesen, dass es rechtlich ausgeschlossen sei, im europäischen System des „Per Se“ - Verbotes für RPM „Rule of Reason“-Überlegungen einzuführen, da dies Art. 101 AEUV widerspricht. Dabei sei aber klarzustellen, dass in allen Fällen von RPM die beurteilende Stelle – sei dies eine Wettbewerbsbehörde oder ein Gericht – eine umfassende Beurteilung aller Wettbewerbswirkungen vorzunehmen hat und allfällige Effizienzen berücksichtigen sollte.
Jedenfalls sollten Unternehmen mit einem Marktanteil von unter 15% weniger streng beurteilt werden. Inwieweit hier ein Netzwerk paralleler und gleichartiger Vertriebsverträge in einer Branche eine Rolle spielt, wurde offen gelassen. Während empfohlene Richtpreise und Mindestpreise auch auf Basis des neuen EU-Rechts eher unproblematisch sind und freigestellt erscheinen, sind Höchst- oder Fixpreisvereinbarungen nur in wenigen spezifischen – in der Resolution umschriebenen – Fällen als freigestellt zu betrachten. Es betrifft dies kurzfristige Tiefpreisaktionen, die Einführung neuer Produkte bzw den Markteintritt eines neuen Mitbewerbers und Fälle der Hintanhaltung der Ausnutzung fremder Leistungen vor und nach dem aktuellen Verkaufsvorgang (zB „Beratungsdiebstahl“). Die einstimmig angenommene Resolution in englischer Sprache sowie die eingelangten nationalen Berichte und der internationale Bericht sind alle auf der Website der LIGA unter http://www.ligue.org/publication.php?txtt=21&docc=10 zu finden.
Die zweite wissenschaftliche Frage, welche traditionell dem Lauterkeitsrecht bzw. dem gewerblichen Rechtsschutz zuzuordnen ist, lautete in Bordeaux: „Inwiefern können Immaterialgüterrechte (Marken, Patente, Modelle und Designs, Urheberrechte, Herkunftsbezeichnungen) die vergleichende Werbung beschränken?“ Der entsprechende internationale Bericht von Prof. Jochen Glöckner (Universität Konstanz) verdeutlichte die äußerst unterschiedliche Rechtslage. Ein grundlegendes Problem ist, dass keine abschließende Definition von vergleichender Werbung existiert. So besteht kein Konsens darüber, ob zB auch vergleichende Tests von Verbraucherorganisationen, nichtinformative (witzige) Vergleiche, Spitzenstellungswerbung oder Vergleiche ohne vergleichbarer Beziehung (z.B. ein Bier wie ein Champagner) als vergleichende Werbung anzusehen sind. Die Uneinigkeit in diesem Punkt spiegelte sich auch in der nachfolgenden Diskussion wieder.
Deutlich unterschiedlich sind auch die Regelungen der nationalen Rechte des Geistigen Eigentums, trotz des Umstands, dass in diesem Bereich zahlreiche internationale Abkommen bestehen. Freilich existiert in den Mitgliedsstaaten der EU ein geringeres Maß an Unterschieden als in anderen Ländern der LIGA wie zB Brasilien, Japan, Ukraine und USA. Komplexer wird die Rechtslage noch durch den Umstand, dass es in einzelnen Konstellationen in der Rechtsprechung auch weitere Konflikte gibt, wie zB Schutz von Privatsphäre gegen das Recht auf Meinungsäußerung (ist doch Werbung eine Form davon) oder Investitionsschutz gegen freien Zutritt zum Markt. Es folgten rege Diskussionen unter dem Vorsitz von Rechtsanwalt Erik Vollebregt (Greenberg Traurig) und schließlich konnte in der Generalversammlung zu dieser Frage keine Mehrheit für den Resolutionsvorschlag des Berichterstatters erzielt werden.
Die Wechselwirkung zwischen Straffreiheit bei Anzeigen eines Kartellrechtsverstoßes, Strafverfolgung und zivilrechtlichem Schadensausgleich behandelten – unter dem Vorsitz von Frédéric Jenny (Richter am französischen Kassationsgerichtshof) – André Bouquet vom juristischen Dienst der EU-Kommission sowie die Rechtsanwälte Jasper de Gou (Akzo Nobel NV) und Bruce Kilpatrick (Addleshaw Goddard LLP). Zunächst wurde die Problematik einer möglichen missbräuchlichen Inanspruchnahme dieser Kronzeugenregelung durch ein „strategisches whistleblowing“, um einen Mitbewerber zu schädigen, diskutiert.
Es herrschte bei den Diskutanten weitgehende Einigkeit, dass sich die diesbezüglichen Befürchtungen in der Praxis nicht bewahrheitet hatten. Weiters wurde von André Bouquet besonders hervorgehoben, dass eine Pflicht zur permanenten Zusammenarbeit mit der Kommission bestünde und eine bloß zeitlich befristete Kooperation nicht akzeptiert würde. Zusammenfassend betrachtet ist ohne die – im Englischen „leniency programme“ genannte - Kronzeugenregelung eine Aufdeckung von Kartellen viel schwerer möglich.
Ein anderes Thema, nämlich die grenzüberschreitende Werbung für Alkohol, diskutierten Professor Eric Agostini (Universität Bordeaux), der das Alkoholwerbeverbot in Frankreich für übertrieben hielt und dessen positiven Wirkungen auf die Volksgesundheit bezweifelte, und Peter Oliver (Rechtsberater der EU-Kommission), der diese Beschränkung des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs im Sinne des Gesundheitsschutzes für zulässig erachtete.
Peter Oliver brachte einen Überblick über die Rechtsprechung zum Thema „grenzüberschreitende Alkoholwerbung“, wobei als Beispiel für die Auswirkung der französischen Regelung der „Bacardi Fall“ angeführt wurde. Hintergrund war die Weigerung ausländischer Sportvereine, bei Spielen, die in anderen Mitgliedsstaaten stattfanden, der Firma Bacardi im Hinblick auf diese Regelung Werbeflächen zu vermieten, da diese bei der Fernsehübertragung dieser Spiele in Frankreich sichtbar gewesen wären. Der EuGH entschied, dass das französische Alkoholwerbeverbot (Loi Evin) zwar eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, jedoch diese Maßnahme zur Verwirklichung des Zieles des Gesundheitsschutzes zulässig ist.
Auch diesmal wurde die wissenschaftliche Arbeit von einem vielfältigen Rahmenprogramm insbesondere mit einem Empfang im Rathaus von Bordeaux begleitet. Die zum UNESCO Weltkulturerbe zählende Altstadt wurde den Teilnehmern bei einem geführten Stadtspaziergang näher gebracht. Ein Galadinner in einem Weingut mit Weinkunde samt Verkostung und ein Ausflug am Sonntag zu einem anderen weltberühmten Weingut bildeten den passenden Abschluss.
Der nächste Liga-Kongress wird von der englischen Landesgruppe in Oxford organisiert und vom 22. bis 25. September 2011 abgehalten, wo wieder ein spannendes juristisches Diskussionsforum mit einem mindestens ebenso eindrucksvollen Rahmenprogramm geboten wird. Das Programm beinhaltet zunächst eine Diskussion nationaler Richter bezüglich praxisbezogener Fragen in Kartellverfahren vor den Gerichten.
Die erste Frage der beiden Hauptthemen dieser Tagung wird Richtlinien für die Verhängung von Strafen in Kartellverfahren behandeln. Mit der zweiten Frage wird die Haftung von Internetplattformen für unlautere Geschäftspraktiken auf deren Websites erörtert. Dazu werden Vorträge von führenden Experten der Europäischen Union und amerikanischer Behörden zu Fragen des Wettbewerbsrechts und des gewerblichen Rechtsschutzes geboten. Schließlich wird das Galadinner in der Christ Church College, Oxford University abgehalten, welche auch als Speisesaal von Hogwarts als der Schule von Harry Potter bekannt ist.
Nutzen Sie die Vorteile einer Mitgliedschaft bei der ÖVMitgliedsvorteile
Aufsätze und Entscheidungen mit Anmerkungen von Experten
jährlich 6 HefteAbo Bestellung bei ManzEditorial/Inhalt aktuelle Ausgabe
09.04.2025
WKO, Rudolf Sallinger Saal, Wiedner Hauptstraße 63, 1040 WienMehrBericht vergangenes Seminar