Leben haucht das Europäische Gericht (EuG) in der Rechtssache T-15/13 dem informierten Benutzer im Geschmacksmusterrecht ein. Das EuG hatte die Frage der Neuheit und der Eigenart eines modernen Duschsiphons zu beurteilen. Der für den Nutzer sichtbare Teil besteht im Wesentlichen aus einer rechteckigen Platte mit seitlichen Schlitzen, durch welche das Wasser ablaufen kann. Der Siphon ist für den Endbenutzer nicht sichtbar.
Von RA Mag Rainer Schultes, Partner bei GEISTWERT
Der Geschmacksmusteranmeldung für diesen Duschsiphon wurde ein Prospekt über über Wasserabflussrinnen in mehreren Belastungskategorien entgegengehalten. Dieses zeigte verschiedene Abdeckplatten, Roste und Einlaufkanäle, die erkennbar für die gemeinsame Verwendung gedacht waren. Aus den verschiedenen Belastungskategorien für die Wasserabflussrinnen ergab sich, dass diese für einen industriellen Einsatz bestimmt waren.
Die Kernfrage war, ob dieser Formenschatz für die Beurteilung der Zulässigkeit des Geschmacksmusters heranzuziehen waren. Dafür stellte das Gericht interessante Erwägungen sowohl hinsichtlich der Neuheit als auch hinsichtlicher der Eigenart an:
1. Neu ist ein Geschmacksmuster, wenn kein identisches Design der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zugänglich war. Dabei wird gem. Art. 7 der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV) darauf abgestellt, ob es den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweiges im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte. Es gilt hier also kein absoluter Neuheitsbegriff, sondern eine Art europäischer Realitätssinn.
In diesem Zusammenhang meinte das Gericht, dass es einem Geschmacksmuster an Neuheit fehle, wenn es allein aus Teilen besteht, die allesamt bereits vorbekannt und zur gemeinsamen Verwendung bestimmt waren. Im konkreten Fall konnten drei in ein und demselben Katalog jedoch separat abgebildete Teile eines komplexen Erzeugnisses gedanklich zusammengesetzt werden und damit neuheitsschädlich sein.
2. Bei der Beurteilung, ob ein Design Eigenart besitzt, stellt man auf den Gesamteindruck ab, den es bei dem bereits erwähnten informierten Benutzer hervorruft. Dabei ist der Grad der Gestaltungsfreiheit des Designers zu berücksichtigen.
Der informierte Benutzer ist die Maßfigur, anhand welcher beurteilt wird, ob ein Geschmacksmuster Eigenart besitzt. Diese ist neben der Neuheit eines Designs eine wesentliche Voraussetzung eines Geschmacksmusters.
Nach der vorliegenden (noch nicht übersetzten) Entscheidung des EuG könne ein Benutzer aber nicht in allen Bereichen informiert sein, sondern nur in bestimmten. Man könne daher nicht ohne weiteres annehmen, dass der informierte Benutzer von Duschsyphonen im Consumerbereich auch Wasserablaufrinnen für die Industrie kennen müsste.
Wenn sich diese Rechtsprechung durchsetzte, würde dies bedeuteten, dass ein Design, trotz nur geringer Unterschiede gegenüber einem vorbekannten Erzeugnis dennoch Eigenart aufweisen könnte, wenn nicht anzunehmen ist und nicht gesondert dargetan ist, dass es in den Bereich des informierten Benutzers fällt. In diesem Fall könnten also Designs, die sich in einem zwar sofort wahrnehmbaren, aber den Gesamteindruck nicht beeinflussenden Detail unterscheiden, nebeneinander bestehen, wenn sie nicht für die gleiche Zielgruppe bestimmt sind.
Von RA Mag Rainer Schultes, Partner bei GEISTWERT
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