[EDITORIAL] von Rainer Beetz
Späte Einsicht oder die Behandlung von Kinderkrankheiten
ÖBl 2016/1
2016 hätte das Jahr werden sollen, in dem das Europäische Patentamt das erste Einheitspatent erteilt – zu einer solcher Erteilung wird es nach menschlichem Ermessen nicht kommen: Selbst der vorbereitende Ausschuss geht nun von einer Inbetriebnahme des Einheitspatentgerichts frühestens Anfang 2017 aus. Diese Annahme setzt allerdings auf der Hoffnung auf, dass Deutschland umgehend den Ratifikationsprozess einleitet; derzeit sprechen alle Anzeichen allerdings dagegen – möglicherweise ein Zeichen dafür, dass der „Marktführer“ mit etwa 70% Marktanteil keine drängende Eile an der Neuordnung des Markts verspürt.
In einem wenig beachteten Arbeitsdokument[1] hat die EU-Kommission(EK) kürzlich in einer Art Selbstanalyse zudem ernüchternde Einblicke offengelegt:
In Anbetracht der derzeit diskutierten Gerichtsgebühren erkennt die EK, dass das Kostenrisiko, welchem KMUs unter dem Einheitspatent-Regime ausgesetzt sein werden, eine ernsthafte Abschreckung und Bedrohung sein wird. Nach Ansicht der EK könne diesem Risiko nur (!) durch einen funktionierenden Versicherungsmarkt auf dem Gebiet der IP-Streitverfahren effektiv begegnet werden – eine erstaunliche Erkenntnis, war doch seit jeher das Argument für das Einheitspatent-Paket, dass es bisher insb für KMUs zu schwierig war, Patente auf dem allzu fragmentierten Patentmarkt (kosten-)effizient durchzusetzen (eine Erwägung, welche sich übrigens nach wie vor an prominenter Stelle in der Präambel des EPGÜ wiederfindet).
Abgesehen von dieser – iZm der (vermeintlich) angestrebten KMU-Förderung – einem Scheitern gleichkommenden Erkenntnis werden in dem Arbeitsdokument noch weitere „Kinderkrankheiten“ aufgezeigt, welche nach Möglichkeit noch vor dem Inkrafttreten des EPGÜ geheilt werden sollten:
· Es besteht keine Möglichkeit, aufbauend auf einem EPat ein Schutzzertifikat(SPC) zu erlangen. In Anbetracht der wirtschaftlichen Bedeutung von SPCs (welche auch Nicht-Branchenkennern gewahr ist), scheint somit klar zu sein, dass ohne Behebung dieser Kinderkrankheit ein sehr potenter Industriezweig beinahe gezwungen ist, aus dem System hinauszuoptieren.
· Es besteht keine Möglichkeit der Umwandlung (vergleichbar mit Art 112 GMV), sollte ein EPat aufgrund eines älteren nationalen Rechts widerrufen werden.
· Die EPatVO und das EPGÜ sehen kein Verbot eines Doppelschutzes vor, sodass zum „fragmentierten Patentmarkt“ in Wahrheit nur eine weitere Schicht hinzugefügt wird.
· Das sog „Malta-Problem“: Einheitlicher Patentschutz kann nur für alle (an der verstärkten Zusammenarbeit) beteiligten MS beantragt werden. Trat ein beteiligter MS erst in jüngerer Vergangenheit dem EPÜ bei, können alle früher eingereichten EP-Anmeldungen diesen MS nicht benennen – für mit dieser Kinderkrankheit versehene Anmeldungen kann daher auch kein einheitlicher Schutz beantragt werden.
Hinzu kommen noch von der EK nicht angesprochene Probleme wie die über Art 5 EPatVO verordnete Uneinheitlichkeit des einheitlichen Schutzes zB iZm der Bolar-Regelung – Masern, Mumps und Röteln zugleich!
Rainer Beetz
[1] Commission Staff Working Document 28. 10. 2015, SWD(2015) 202 final, A Single Market
Strategy for Europe – Analysis and Evidence Accompanying the document Upgrading the
Single Market: more opportunities for people and business, COM(2015) 550 final, SWD
(2015) 203 final.
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