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Zur Anwendbarkeit von Art 3 Abs 1 lit b und Abs 4 der FKVO auf nicht durch Gründung entstandene Gemeinschaftsunternehmen20.08.2016
von Stefan Bucher und Gerhard Fussenegger, bpv Hügel Rechtsanwälte, Brüssel / Wien
Zusammenfassung des Vorlagebeschlusses des Kartellobergerichts („KOG“) vom 16 Ok 1/16g vom 31.3.2016
Sachverhalt und bisheriges Verfahren
Die Antragsgegnerin sowie eine weitere Gesellschaft „TA“ beabsichtigen die Gründung einer Gesellschaft österreichischen Rechts, in der die beiden Unternehmen Beschlüsse nur einstimmig, bei jeweils 50% Beteiligung fassen können. Das eigentliche Ziel ist der Kauf einer Asphaltmischanlage („Zielunternehmen“) durch die neu gegründete Gesellschaft, wobei das Zielunternehmen bis dato im Alleineigentum der TA steht. Wirtschaftlich betrachtet, erwirbt die Antragsgegnerin damit eine Beteiligung von 50% verbunden mit gemeinsamer Kontrolle an dem bereits bestehenden Zielunternehmen, wobei die das Zielunternehmen bisher allein kontrollierende TA nun mitkontrollierend beteiligt bleibt. Das dadurch entstehende Gemeinschaftsunternehmen („GU“) ist somit kein sogenanntes Vollfunktions-GU im Sinn des Art 3 Abs 4 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („FKVO“), da die Europäische Kommission nur originäre Neugründungen, nicht aber den Erwerb gemeinsamer Kontrolle an einem bestehenden Unternehmen als „Gründung“ eines Gemeinschaftsunternehmens im Sinn des Art 3 Abs 4 FKVO anerkennt.
Die Antragstellerin meldete den Zusammenschluss bei der Bundeswettbewerbsbehörde im August 2015 an, der Bundeskartellanwalt stellte einen Prüfungsantrag an das Kartellgericht. Vor dem Erstgericht war strittig, ob die geplante Transaktion in Österreich oder in Brüssel bei der EU-Kommission anzumelden sei. Die Antragsgegnerin brachte vor, dass kein Zusammenschluss nach Art 3 FKVO vorliege, wenn das Zielunternehmen zukünftig nicht als Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen zu qualifizieren sei. Da aber die Zielgesellschaft im Wesentlichen nur deshalb errichtet worden sei, um Asphaltmischgut für das eigene Straßenbausegment gruppenintern zu produzieren, liege eine Vollfunktion nicht vor und sei in Folge auch nicht in Brüssel anzumelden. Das Zusammenschlussvorhaben verwirkliche aber die Zusammenschlusstatbestände gemäß § 7 Abs 1 Z 3 und Z 5 KartG und sei daher in Österreich anmeldepflichtig.
Das Kartellgericht wies mit Beschluss vom 6. 10. 2015 den Prüfungsantrag wegen in Österreich fehlender Anmeldepflicht zurück. Die Schwellwerte der FKVO seien durch die geplante Transaktion erfüllt. Zwar werde der Erwerb gemeinsamer Kontrolle an einem bestehenden Unternehmen von der Europäischen Kommission grundsätzlich nicht als „Gründung“ eines Gemeinschaftsunternehmens im Sinn des Art 3 Abs 4 FKVO begriffen, allerdings sei der Zusammenschlusstatbestand des Art 3 Abs 1 lit b FKVO erfüllt und die Transaktion daher bei der Europäischen Kommission anzumelden. Die Antragsgegnerin legte gegen diesen Beschluss Rekurs ein, ua unter Verweis auf ein Schreiben der Europäischen Kommission, wonach die geplante Transaktion wegen fehlender Vollfunktion keinen Zusammenschluss im Sinne des Art 3 FKVO darstelle und daher keine Verpflichtung bestehe, den Zusammenschluss gemäß der FKVO anzumelden (auch nicht gem Art 3 Abs 1 lit b FKVO).
Das KOG ist der Ansicht, dass die Frage, ob der Wechsel von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle über ein bestehendes Unternehmen, das vorher von einer der künftig gemeinsam kontrollierenden Parteien besessen wurde, nach der FKVO als anmeldepflichtiger Zusammenschluss anzusehen ist, gemeinschaftsrechtlich noch unbeantwortet ist. An den EuGH wurde daher gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind Art 3 Abs 1 lit b und Abs 4 der (...) „FKVO“ dahin auszulegen, dass im Fall des Wechsels von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle an einem bestehenden Unternehmen, wobei das vormals allein kontrollierende Unternehmen weiterhin mitkontrollierend beteiligt bleibt, nur dann ein Zusammenschluss bewirkt wird, wenn dieses Unternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen Einheit aufweist?
Rechtliche Beurteilung
Im Wesentlichen vertritt die Antragsgegnerin die Rechtsmeinung, dass die FKVO insgesamt nicht zur Anwendung kommen sollte. Erstens verlange – auch nach Ansicht der Europäischen Kommission - Art. 3 Abs 4 FKVO bei der „Gründung“ eines GU dessen Vollfunktionsfähigkeit, ohne die es keine Anmeldepflicht gibt. Nachdem hier keine klassische Gründung vorliegt, müsste der Begriff jedoch relativ weit interpretiert werden. Zweitens verlange auch Art. 3 Abs 1 lit b FKVO neben einem Kontrollwechsel eine Vollfunktionsfähigkeit, in Ermangelung derer die FKVO auf den Sachverhalt nicht anwendbar sei.
Das Kartellgericht ist hingegen der Rechtsmeinung, dass hier keine Gründung iSv Art. 3 Abs 4 FKVO vorliege, gleichzeitig aber Art. 3 Abs 1 lit b FKVO quasi als Auffangtatbestand zur Anwendung kommen müsse, da er keine Vollfunktionsanforderung enthält, wodurch das Vorhaben gemäß FKVO anzumelden wäre. Das KOG führt weiters aus, das bisher nur als gesichert gilt, dass originär neu gegründete GU ohne Vollfunktionsfähigkeit keinen Zusammenschluss iSd FKVO darstellen.
Es ist nun am EuGH zu entscheiden, ob ein nicht vollfunktionsfähiges GU, das zuvor bereits als Unternehmen bestanden hatte und daher nicht originär gegründet wurde, einen anmeldepflichtigen Zusammenschlussfall darstellt oder nicht. Für die an der geplanten Transaktion beteiligten Unternehmen bedeutet dies vor allem auch einen erheblichen Zeitverlust und nicht bestehende Rechtssicherheit, da nach wie vor nicht geklärt ist, welche Behörde für die fusionskontrollrechtliche Prüfung des geplanten Vorhabens überhaupt zuständig ist. Die angestrebte Freistellung des Vorhabens ist damit aber auch mittelfristig nicht absehbar.
Zusammenfassung von RAA Stefan Bucher, LL.M., LL.M. Eur., RA Mag Gerhard Fussenegger, LL.M., bpv Hügel Rechtsanwälte OG, Brüssel / Wien
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