Die Internationale LIGA für Wettbewerbsrecht (LIDC) hielt in diesem Jahr ihren Kongress in der südamerikanischen Metropole ab. Über 60 Experten aus 12 Ländern (darunter Österreich) trafen zusammen, um aktuelle Fragen des Wettbewerbs- und IP-Rechts zu diskutieren.
Im Mittelpunkt des internationalen Expertenforums, das heuer erstmals in seiner 87-jährigen Geschichte von 5. bis 8. Oktober 2017 in Brasilien stattfand und an dem neben Mitgliedern aus Europa und dem Gastgeberland auch zB Vertreter aus den USA teilnahmen, standen die Themen Online-(Verkaufs)Plattformen und Ausnahmeregelungen im Urheberrecht. Zu beiden Bereichen waren jeweils im Vorfeld nationale Berichte erstattet worden.
Online-VerkaufsPlattformen (FRAGE A)
Die Fragestellung betreffend die Online-(Verkaufs)Plattformen (Frage A) war allgemein darauf gerichtet, inwieweit den wettbewerbs- und kartellrechtlichen Herausforderungen in diesem Bereich mit den vorhandenen gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Ländern sowie auf internationaler Ebene ausreichend Rechnung getragen werden kann. So unterscheiden sich Unternehmen der „new economy“ in vielerlei Hinsicht von klassischen (Handels)Unternehmen und ist es besonders bei Online-Marktplätzen schon oft eine Herausforderung, zwischen Vermittlungs- und Verkaufstätigkeit zu unterscheiden. Die für eine unlautere oder kartellrechtswidrige Verhaltensweise verantwortlichen Rechtssubjekte sind häufig nur mit erheblichem Aufwand zu identifizieren. Dazu kommt (neben vielen weiteren Aspekten), dass es meist schwierig ist, Online-Plattformen eine „marktbeherrschende Stellung“ nachzuweisen (was häufig Voraussetzung für eine Verhaltenssanktionierung ist), weil einerseits auf dem jeweiligen Produktmarkt bei Berücksichtigung anderer Bezugsquellen keine klare Marktübermacht vorliegt ist und andererseits Marktpositionen in diesem dynamischen Umfeld einem ständigen Wandel unterworfen sind. Dementsprechend erweisen sich hier die herkömmlichen Kriterien für die Feststellung von Marktbeherrschung als zu statisch, um die Marktmacht von Online-Unternehmen in Bezug auf ein Wettbewerbsverhalten adäquat zu bestimmen.
Vor diesem Hintergrund scheint die Überlegung, eigene Wettbewerbsregeln für diesen Bereich zu schaffen, durchaus naheliegend. Angesichts der spezifischen Eigenheiten von Online-Marktplätzen könnte es früher oder später unabdingbar sein, entsprechende gesetzliche Grundlagen zu schaffen, die es ermöglichen, sachgerecht auf problematische Entwicklungen (als Folge einzelner Verhaltensweisen) zu reagieren, wobei regionale Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen, wie etwa zwischen den USA, Brasilien und Europa zu berücksichtigen sein werden. Allerdings wurde bei diesem Kongress im Rahmen der Diskussion von der Mehrzahl der Teilnehmer die Ansicht vertreten, dass es jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sinnvoll sei, ein wettbewerbsrechtliches Sonderrecht für Online-Marktplätze einzuführen. Grundsätzlich seien Verhaltensweisen im Online-Markthandel aus heutiger Sicht denselben wettbewerbsrechtlichen Maßstäben zu unterstellen wie jene des allgemeinen Handels und sollte, soweit ersichtlich, mit den derzeit bestehenden Regelungen das Auslangen gefunden werden. Mittelfristig seien jedoch die betroffenen Märkte aufmerksam zu beobachten und müsse gegebenenfalls korrigierend auch durch legistische Maßnahmen eingegriffen werden.
Ausgehend von der Feststellung, dass Online-(Verkaufs)Plattformen generell mehrseitig dynamische Strukturen aufweisen, wurde in der zu diesem Thema verabschiedeten Resolution festgehalten, dass besonders die Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung alle Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen hat. Die mit Online-(Verkaufs)Plattformen einhergehenden Netzwerkeffekte (wobei hier vor allem die Ausdehnung von Marktmacht auf benachbarte Märkte relevant sei) erforderten eine Flexibilität der Rechtsanwendung, die das Wettbewerbsrecht aber im Grunde durchaus zu leisten imstande sei. Auch hinsichtlich von Verkaufsverboten oder anderen vertikalen Beschränkungen in Bezug auf Online-(Verkaufs)Plattformen seien die Eigenheiten dieser Vertriebsform zu beachten und müssten wettbewerbsrechtliche Bestimmungen mit Augenmaß angewendet werden.
Urheberrecht und fairer Interessensausgleich (FRAGE B)
Der zweite zentrale Themenkreis (Frage B) war der Frage gewidmet, inwieweit die gegenwärtigen Ausnahmeregelungen im Urheberrecht einen fairen Interessensausgleich zwischen Urhebern einerseits und Nutzern andererseits gewährleisten. Hier sind etwa die Ausnahmen bzw Schranken des urheberrechtlichen Schutzes in Bezug auf flüchtige oder begleitende Vervielfältigungen bzw zum eigenen und zum privaten Gebrauch zu nennen. Weiters sind zu erwähnen die freien Werknutzungen bei der Berichterstattung über Tagesereignisse, zu Unterrichtszwecken oder das sogenannte Zitatrecht (siehe dazu und zu weiteren freien Werknutzungen insbesondere die §§ 41 ff UrhG – Urheberrechtsgesetz, sowie Art 5 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, InfoSoc-RL). Besondere Bedeutung für die Zulässigkeit einer Beschränkung des urheberrechtlichen Verwertungsrechts kommt dem in mehreren internationalen Verträgen vorgesehenen Drei-Stufen-Test („triple test“) zu, wonach zu beachten ist, dass durch die Ausnahmeregelung (Schrankenbestimmung) weder die normale Verwertung des Schutzgegenstandes beeinträchtigt wird noch die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers unzumutbar verletzt werden (siehe zB Art 5 Abs 5 InfoSoc-RL sowie das TRIPS-Übereinkommen).
In der ausführlichen Diskussion zur nachfolgend beschlossenen Resolution wurde unter anderem erörtert, ob die auf internationaler Ebene formulierten Ausnahmen vom nationalen Gesetzgeber verbindlich umzusetzen seien (was jedenfalls für die Ausnahme gemäß Art 5 Abs 1 InfoSoc-RL betreffend temporäre Vervielfältigungsstücke zu bejahen sei und mehrheitlich auch hinsichtlich weiterer, wichtiger Ausnahmetatbestände befürwortet wurde). Eine weitere wesentliche Frage war, inwieweit diese Schranken des Urheberrechts durch privatrechtliche Vereinbarungen abbedungen werden können. In der Resolution wurde dazu festgehalten, dass ein bloß „optionales“ Verständnis der Ausnahmen speziell die grenzüberschreitenden Beziehungen im digitalen Sektor negativ beeinflussen könnte. Man müsse daher eine international harmonisierte Lösung finden, die dann auf nationaler Ebene entsprechend umgesetzt werde. Was die Frage der inhaltlichen Vollständigkeit der Aufzählung der urheberrechtlichen Schranken im Sinne eines „Ausnahmekatalogs“ anbelange, so sei eine geschlossene (taxative) Liste zwar grundsätzlich von Vorteil, es müsse allerdings sichergestellt sein, dass auf künftige Entwicklungen dennoch flexibel reagiert werden könne.
Weiters wurde in der Resolution die große Bedeutung des Drei-Stufen-Tests hervorgehoben und eine gesetzliche Verpflichtung der Anwendung dieses Tests durch die Gerichte gefordert. Ebenso verpflichtend (im Rahmen gerichtlicher Verfahren) solle die Prüfung eines fairen Interessenausgleichs sein. Die bislang uneinheitlich beantwortete Frage nach der Zulässigkeit der freien Werknutzung bei unrechtmäßig hergestellten Werkexemplaren („Raubkopien“) müsse umfassend geprüft und im Sinne einer klaren, harmonisierten Bewertung gelöst werden. Generell wurde von der Mehrheit der teilnehmenden Landesgruppen darauf hingewiesen, dass es ein dringendes Bedürfnis nach einer klaren Identifizierung der Reichweite, der Grenzen und der Anwendungsbedingungen der Ausnahmetatbestände gibt und die nationalen Vorschriften diese Kriterien möglichst detailliert und eindeutig festlegen sollten.
Neben diesen beiden Kernfragen standen Vorträge und Podiumsdiskussionen zu weiteren Themenbereichen auf dem Programm:
VERTIKALE PREISBINDUNGEN
So befasste sich gleich am Eröffnungstag eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion mit dem weltweit aktuellen Thema der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von vertikalen Preisbindungen. Preisabsprachen zwischen Unternehmern auf verschiedenen Wirtschaftsstufen (zwischen Herstellern und Händlern) werden in den meisten Ländern grundsätzlich als unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen angesehen, weil die „gebundenen“ Unternehmer daran gehindert werden, mit ihren Mitbewerbern in Preiswettbewerb zu treten. Jedoch gibt es hier – vor allem von ökonomischer Seite – den Einwand, dass solche Preisbindungen durchaus auch wirtschaftlich positive Auswirkungen haben können, was dazu geführt hat, dass Vereinbarungen dieser Art auch aus kartellrechtlicher Sicht zunehmend differenziert betrachtet werden.
Die Teilnehmer aus Übersee, insbesondere aus den USA und Brasilien, bestätigten diese Betrachtungsweise und legten dar, dass auch in ihren Ländern die Tendenz bestehe, vertikale Preisbindungen nicht per se als unzulässig zu beurteilen. Es sei immer wieder zu beobachten, dass Preisbindungen gar nicht von der Herstellerseite ausgingen sondern von den Händlern nachgefragt würden. Hier sei die Gefahr von schädlichen, wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen größer als bei „echten“ Preisvorgaben durch die Hersteller, sodass solche Fälle strenger beurteilt werden müssten. Generell wurde in diesem Zusammenhang besonders von den anwesenden Anwälten der Wunsch nach behördlichen Leitlinien geäußert (was etwa für den österreichischen Rechtsbereich mit dem „Standpunkt zu vertikalen Preisbindungen“ der Bundeswettbewerbsbehörde vom Juli 2014 bereits geschehen ist). Von deutscher Seite wurde darauf hingewiesen, dass das Bundeskartellamt im Juni 2017 ein umfassendes „Hinweispapier“ zum Preisbindungsverbot im Bereich des stationären Lebensmitteleinzelhandels veröffentlicht hat (abrufbar unter www.bundeskartellamt.de).
„plain packaging“
Ein sehr interessanter Vortrag war dem Thema „plain tobacco packaging“ gewidmet. So dürfen in einigen Ländern wie Australien, Frankreich und England alle Tabakprodukte nur mehr in „neutralen“ Verpackungen bzw Einheitsverpackungen verkauft werden. Es dürfen keine Markenelemente wie Logos oder individuelle Schriftzüge mehr auf den Zigarettenpackungen sein, die zusätzlich noch eine unattraktive Farbgebung (zB fahler, bräunlicher Grünton) aufweisen. Die Wortmarken (wie zB „Pall Mall“) sind nur noch in einheitlicher Schrift aufgedruckt. Durch diese Maßnahmen soll ergänzend zu den aufgedruckten Schockbildern das Marketing für Tabakprodukte weiter erschwert und als Folge davon eine Verringerung des Tabakkonsums erreicht werden. Die Einführung von „plain packaging“-Vorschriften wird derzeit nicht nur in Brasilien sondern auch vielen anderen Ländern diskutiert bzw werden in einzelnen europäischen Ländern wie Irland, Ungarn und Slowenien schon demnächst entsprechende Bestimmungen in Kraft treten.
Das Verbot einer individuellen Gestaltung von Produktverpackungen wirft markenrechtliche, aber auch grundrechtliche Fragen auf. So werden Probleme im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung von (dann nicht benützten bzw benützbaren) Markenrechten befürchtet und ein Verstoß gegen die Erwerbsfreiheit bzw gegen Eigentumsrechte (Rechte am geistigen Eigentum, Wertverlust der Marke) gesehen. Wie den Wortmeldungen im Anschluss an den Vortrag zu entnehmen war, standen die Teilnehmer dem „plain packaging“ überwiegend skeptisch gegenüber, und zwar sowohl aus juristischer Sicht als auch im Hinblick auf dessen tatsächlicher Eignung zur Senkung des Tabakkonsums.
Internet der Dinge
Am Ende des wissenschaftlichen Programms stand ein spannender Ausblick auf die komplexen (künftigen) Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem sogenannten „Internet of Things“ (abgekürzt „IoT“, „Internet der Dinge“). Laut Wikipedia kann man darunter eine durch Informations- und Kommunikationstechniken in globalen Informationsgesellschaften vernetzte Infrastruktur von Alltagsgegenständen verstehen. Die mit eingebetteten Prozessoren, Sensoren und Netzwerktechnologien ausgerüsteten Gegenstände kommunizieren selbständig miteinander über das Internet und erledigen für den Benützer verschiedenste Aufgaben. Der Anwendungsbereich dieser Vernetzung scheint beinahe grenzenlos. Zum Teil findet diese Kommunikation zwischen Gegenständen bereits jetzt statt, etwa wenn – um nur ein kleines Beispiel zu nennen – mit Chips ausgestattete Druckerpatronen nach Unterschreiten eines bestimmten Füllstandes den Computer (oder Drucker) automatisch anweisen, Patronen nachzubestellen.
Den größten Einfluss des „Internet der Dinge“ außerhalb des Verbraucher-Bereichs erwartet man aus derzeitiger Sicht im Bereich der industriellen Produktion, im Infrastruktur-Management der Städte und im Gesundheitswesen. Wie der Schweizer Vortragende betonte, seien hier aus rechtlicher Sicht viele Fragen offen bzw könne man manche Rechtsfragen noch gar nicht benennen. Es werde jedenfalls zu einem erheblichen Anteil um Fragen des Datenschutzrechts und um Haftungsfragen gehen. Auch das Wettbewerbsrecht könne vor Herausforderungen stehen, etwa wenn es um die Zuordnung eines quasi durch Maschinen begangenen Wettbewerbsverstoßes ginge.
SONSTIGES
Den Schlusspunkt der Tagung vor der eindrucksvollen Kulisse der weltberühmten Millionenstadt bildete die Generalversammlung unter Leitung des derzeit aus Brasilien kommenden Präsidenten RA José Antonio Faria Correa. Ein elegantes Gala Dinner im stilvollen Ambiente des Casa de Arte e Cultura rundete das Kongressprogramm ab.
Der nächste LIGA-Kongress findet von 4. bis 7. Oktober 2018 in Budapest in Ungarn statt. Die beiden zentralen Themen werden sein:
A: Die Haftung von juristischen Personen und deren Angestellten für Strafen und Schadenersatzansprüche im Wettbewerbsrecht
B: Der Schutz von Markenrechten im Vertrieb und gegenüber Kunden – gibt es hier einen gerechten, gesetzlichen Interessenausgleich?
Alle weiteren Informationen sind auf der Website der LIGA unter www.ligue.org und der österreichischen Landesgruppe der LIGA im Rahmen der ÖV (Österreichische Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht) unter www.oev.or.at abrufbar.
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