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OGH 4Ob63/17v, 3.5.2017 - Unionsmarkenverordnung: Keine zwingende Verfahrensunterbrechung bei Widerklage auf Nichtigerklärung der Klagsmarke16.03.2018

OGH 3.5.2017, 4 Ob 63/17v

In seiner Entscheidung zur Geschäftszahl 4 Ob 63/17v hatte sich der OGH mit einer nicht ganz alltäglichen prozessualen Situation zu beschäftigen, die in der Unionsmarkenverordnung (UMV) allerdings letztlich klar geregelt ist: Im Verfahren zur Geschäftszahl 11 Cg 5/07h machte der dortige Kläger seine Rechte aus einer Unionsmarke gegen die dortige Beklagten geltend und stellte dort die Begehren auf Unterlassung, Beseitigung und Zahlung (kurz „Verletzungsverfahren“).

Da ein Unionsmarkengericht im Verletzungsstreit grundsätzlich vom Rechtsbestand einer registrierten Unionsmarke auszugehen hat, hatte die Beklagte beim selben Gericht eine Widerklage auf Nichtigerklärung der Klagsmarke eingereicht und dort die bösgläubige Markenanmeldung durch den Verletzungskläger eingewendet; in diesem Widerklageverfahren wurde die im Verletzungsstreit Beklagte damit zur Klägerin (kurz „Verletzungs-Beklagte“ oder „Nichtigkeitsklägerin“), der Verletzungskläger zum Beklagten (kurz „Verletzungskläger“ oder „Nichtigkeits-Beklagter“).

Das Handelsgericht Wien unterbrach das Widerklageverfahren zunächst bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verletzungsverfahrens; das Oberlandesgericht Wien folgte dem dagegen erhobenen Rechtsmittel des Nichtigkeits-Beklagten und trug dem Handelsgericht Wien die Fortführung des Widerklageverfahrens auf. Ein weiteres dagegen erhobenes Rechtsmittel blieb vor dem OGH erfolglos (4 Ob 212/15b). Das Widerklageverfahren war daher weiter zu führen.

Im parallel geführten Verletzungsprozess wiesen sowohl das Handelsgericht Wien als auch das Oberlandesgericht Wien die vom Verletzungskläger gestellten Begehren ab; der OGH setzte das daran anschließende Revisionsverfahren aus und ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung betreffend die beiden nachstehenden Fragen (4 Ob 223/15w):

 

  1. Darf eine Klage wegen Verletzung einer Unionsmarke […] aufgrund des Einwands der böswilligen Markenrechtsanmeldung […]  abgewiesen werden, wenn der Beklagte zwar eine damit begründete Widerklage auf Nichtigerklärung der Unionsmarke erhoben […], das Gericht über diese Widerklage aber noch nicht entschieden hat?
     
  2. Wenn nein: Darf das Gericht die Verletzungsklage aufgrund des Einwands der böswilligen Markenrechtsanmeldung abweisen, wenn es zumindest zugleich der Widerklage auf Nichtigerklärung stattgibt, oder hat es mit der Entscheidung über die Verletzungsklage jedenfalls bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Widerklage zuzuwarten?

 

Im Widerklageverfahren führte das Handelsgericht Wien in der Zwischenzeit ein erstinstanzliches Beweisverfahren zur Beantwortung der Frage durch, ob die Klagsmarke böswillig angemeldet wurde und daher für nichtig zu erklären ist. Anschließend setzte es das Widerklageverfahren unter Anwendung des Artikels 100 Abs 7 UMV (nunmehr: Artikel 128 Abs 7 UMV) aus und trug der Nichtigkeitsklägerin konsequenterweise auf, binnen 3 Monaten ab Rechtskraft des Aussetzungsbeschlusses einen Nichtigkeitsantrag beim EUIPO zu stellen – gleichwohl es zu genau diesem Thema ja bereits ein – wohl umfangreiches – Beweisverfahren durchgeführt hatte.

Die Nichtigkeitsklägerin hätte daher ihr Vorbringen samt den entsprechenden Beweisanboten nochmals – und zwar vor dem bislang überhaupt noch nicht involvierten EUIPO – wiederholen müssen, wo wiederum ein Beweisverfahren durchzuführen gewesen wäre, was letztlich einen doppelten Aufwand nach sich gezogen hätte. Verständlicherweise hat sich die Nichtigkeitsklägerin gegen diesen Aussetzungsbeschluss zur Wehr gesetzt und das Oberlandesgericht Wien gab ihrem Rechtsmittel in nachvollziehbarer Weise Folge: Anders als im Falle des Artikels 104 Abs 1 UMV (= nunmehr Artikel 132 Abs 1 UMV), der eine zwingende Verfahrensaussetzung von Verletzungsverfahren für den Fall vorsieht, in dem die Rechtsgültigkeit der im Verletzungsstreit herangezogenen Unionsmarke bereits vor einem anderen Unionsmarkengericht im Wege der Widerklage angefochten worden oder beim Amt bereits ein Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit gestellt worden ist, sodass bereits ein Nichtigkeitsverfahren anhängig ist, stellt der 100 Abs 7 UMV (nunmehr: Artikel 128 Abs 7 UMV) die Unterbrechung des Widerklageverfahrens auf Nichtigerklärung in das Ermessen des damit befassten Gerichtes. 

Mit anderen Worten bzw mit den Worten der UMV: Während Artikel 104 Abs 1 UMV (= nunmehr Artikel 132 Abs 1 UMV) im oben angesprochenen Fall davon spricht, dass ein Verletzungsgericht das Verletzungsverfahren auszusetzen hat (= „so setzt es das Verfahren […] aus“, was einen Imperativ darstellt), soweit keine besonderen Gründe für dessen Fortsetzung bestehen, so normiert Artikel 100 Abs 7 UMV (nunmehr: Artikel 128 Abs 7 UMV) demgegenüber ausdrücklich, dass ein Widerklagegericht das Widerklageverfahren auf Nichtigerklärung auf Antrag des Nichtigkeits-Beklagten (!) aussetzen „kann“. 

In Anbetracht dieser klaren Unterschiede im Wortlaut, die sich übrigens auch in den verschiedenen Sprachfassungen der UMV genauso wiederspiegeln (in der englischen Fassung zB: „maystay the proceeding“ laut Artikel 128 Abs 7 UMV im Unterschied zu „shallstay the proceeding“ laut Artikel 132 Abs 1 UMV), kam der OGH zu Recht zum Schluss, dass die Unterbrechung des Widerklageverfahrens im Ermessen des Gerichtes liegt und die UMV insofern keine zwingende Verfahrensunterbrechung vorgibt.

Völlig zu Recht unterstrich der OGH seine Erwägungen mit dem Normzweck des Artikels 100 Abs 7 UMV (nunmehr: Artikel 128 Abs 7 UMV): Aus verfahrensökonomischen Gründen würde es nämlich nicht nur wenig effizient erscheinen, dass ein Widerklage-Gericht sein Verfahren nicht nur ungeachtet des konkreten – allenfalls schon entscheidungsreifen! – Verfahrensstandes aussetzen ein weiteres, völlig neues Verfahren erst eingeleitet werden müsste; auch der Umstand, dass dies schon auf alleinigen Antrag des Nichtigkeits-Beklagten (!) geschehen müsste, würde Verfahrensverschleppungen mehr als nur begünstigen.

Letztlich liegt den beiden fraglichen Bestimmungen jeweils auch ein völlig anderes prozessuales Szenario zu Grunde: Während die zwingende Unterbrechung des Verletzungsverfahrens gemäß Artikel 132 Abs 1 UMV Konstellationen betrifft, in welchen ein Nichtigkeitsverfahren bereits vor Einreichung der Verletzungsklage anhängig ist, betrifft der Artikel 128 Abs 7 UMV die allfällige Unterbrechung des Widerklageverfahrens auf Nichtigerklärung.

Konsequenterweise und insbesondere aufgrund der klaren und klar unterschiedlichen Wortlaute der beiden Bestimmungen sah der OGH auch keine Veranlassung dafür, den EuGH mit dieser (Abgrenzungs-) Frage zu befassen. Im Gegenteil, und wie es der OGH unmissverständlich ausgedrückt hat: „Die richtige Auslegung des Art 100 Abs 7 UMV [= nunmehr: Artikel 128 Abs 7 UMV] ist derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt, weshalb die Einholung eines Vorabentscheidungsersuchens beim EuGH entbehrlich ist (vgl RIS-Justiz RS0082949)“.

Diese Klarheit ist freilich zu begrüßen.

Mag. Alexander Schnider LL.M., Partner bei GEISTWERT Rechtsanwälte

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