OGH: Irreführung durch Vortäuschen eines homöopathischen Arzneimittels
Ein Produkt, das als Lebensmittel vertrieben wird, darf nicht so bezeichnet sein, dass der Eindruck entsteht, es würde sich um ein Homöopathikum handeln. Außerdem unterliegt ein so bezeichnetes Produkt auch ohne Angabe einer therapeutischen Indikation als „Präsentationsarzneimittel“ den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes.
Die Entscheidung des OGH vom 5.7.2019 zur Geschäftszahl 4 Ob 30/19v enthält interessante Aussagen zur unlauteren Irreführung durch homöopathische Angaben. Das streitgegenständliche Produkt hatte die Bezeichnung „HCG C30 GALL Globuli“ und wurde in kleinen Fläschchen als Lebensmittel (ohne Registrierung oder Zulassung als Arzneimittel) in Form von kleinen Kügelchen vertrieben, die nur aus Saccharose (Haushaltszucker) bestanden. Die klagende Apothekerkammer begehrte die Unterlassung dieser Bezeichnung wegen Irreführung nach § 2 UWG und § 5 LMSVG (Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz), weil hier der Eindruck entstehe, dass es sich um ein homöopathisches Arzneimittel handle. So würde ein Verbraucher mit Interesse an Homöopathie bzw „energetisierten Lebensmitteln“ die Bezeichnung „C30“ als Hinweis auf die in der Homöopathie gebräuchliche „(Hoch-)Potenzierung“ verstehen und werde der Begriff „Globuli“ ebenfalls eindeutig mit der für Homöopathika typischen Darreichungsform in Verbindung gebracht. Überdies würde der informierte Verbraucher „HCG“ als Abkürzung für ein Schwangerschaftshormon mit gewichtsreduzierender Wirkung ansehen.
Der OGH gab dem Unterlassungsbegehren statt (Beschluss auf Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses der Beklagten im Provisorialverfahren) und hielt – zusammengefasst – Folgendes fest:
Auch Homöopathika sind Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG). Daher ist auch hinsichtlich dieser Arzneimittelgruppe die Unterscheidung zwischen Funktions- und Präsentationsarzneimitteln zu beachten (Anmerkung: Man unterscheidet entsprechend der Begriffsdefinition des „Arzneimittels“ in § 1 Abs 1 AMG zwei Gruppen von Arzneimitteln, nämlich jene, die wegen ihrer tatsächlichen Funktion Arzneimittel sind, und solche, die so eine Funktion zwar nicht haben, nach der Aufmachung des Produkts aber zu haben vorgeben – letztere werden als „Präsentationsarzneimittel“ bezeichnet; somit können auch pharmakologisch wirkungslose Produkte bei entsprechender Produktaufmachung unter den Arzneimittelbegriff fallen und sind dann – im Sinne des Verbraucherschutzes – als „Präsentationsarzneimittel“ grundsätzlich den Bestimmungen des AMG zur Gänze unterworfen, siehe zB OGH 4 Ob 190/17w). Für ein „Präsentationsarzneimittel“ reicht schon die subjektive Zweckbestimmung. Maßgeblich ist, wie die angesprochenen Verkehrskreise die Angaben zum Produkt auffassen, nicht dagegen, wie sie der Werbende verstanden wissen wollte. Es sind die zur Beurteilung von Werbeankündigungen nach § 2 UWG entwickelten Grundsätze heranzuziehen.
Durch den konkreten Produktnamen in Zusammenhang mit der Vertriebs- und Darreichungsform entsteht bei einem durchschnittlich informierten und aufmerksamen Verbraucher der Eindruck eines im Sinne homöopathischer Verfahren „potenzierten“ Arzneimittels. Auch die von der Beklagten relevierte Entscheidung des EuGH vom 4.6.2015 zu C-195/14 – Teekanne führt zu keinem anderen Ergebnis. Darin hielt der EuGH fest, dass ein dem europäischen Leitbild entsprechender Verbraucher das Zutatenverzeichnis eines Lebensmittels lesen wird, wenn sich seine Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung des Erzeugnisses richtet (Rn 37). Gleichwohl könne auch ein richtiges und vollständiges Verzeichnis in bestimmten Fällen eine Irreführung über die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels nicht verhindern (Rn 40). Diese Judikatur bezieht sich insoweit auf Lebensmittel, die eindeutig als solche erkennbar sind. Wird hingegen, so der OGH, schon der Eindruck hervorgerufen, es handle sich um ein Arzneimittel, ist von einem Verbraucher nicht zu erwarten, das „Zutatenverzeichnis“ zu lesen. Die Beklagte selbst gesteht zu, dass in den Kugeln aufgrund der „Potenzierung“ (ein „Zuckerstückchen in Milliarden von Galaxien“) nur Saccharose enthalten ist. Da es sich bei echten Homoöpathika ähnlich verhält, ist nicht nachvollziehbar, welche Aufklärung der Verbraucher durch dieses Verzeichnis erfahren würde. Bereits aus dem Namen ergeben sich für ihn alle Informationen vermeintlich vollständig und ohne Bedarf weiterer Aufklärung.
Dass kein Krankheitsbild genannt wird, ist laut OGH nicht geeignet, die Irreführung zu beseitigen, zumal gemäß dem AMG für (registrierte) homöopathische Arzneimittel ohnehin kein genehmigtes therapeutisches Anwendungsgebiet beworben werden darf. Verbraucher sind folglich daran gewöhnt, für Homöopathika keine Indikation angegeben zu erhalten. Auch die Annahme des Rekursgerichts, beim (überwiegenden) Verkauf des Produkts in der Apotheke würden die Kunden nicht zwingend über die wahre Beschaffenheit des Präparats und darüber aufgeklärt, dass tatsächlich kein homöopathisches Mittel vorliege, ist zutreffend. Die Aufklärungs- und Beratungspflicht des Apothekers greift erst dann ein, wenn er Grund zur Annahme hat, der Verbraucher unterliege einem Irrtum. Es ist weder anzunehmen, dass ein solcher Irrtum bei jedem Käufer des Präparats erkennbar sei, noch ist Sinn und Zweck dieser Pflicht, die Hersteller von Präsentationsarzneimitteln aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Die Irreführung ist daher zu bejahen.
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