[EDITORIAL] von Reinhard Hinger
"Über kurz oder lang"
Antoine de Saint-Exupéry hat in „Terre des hommes“ formuliert: „Nicht wenn es nichts mehr anzufügen, sondern wenn es nichts mehr wegzulassen gibt, dürfte die Perfektion erreicht sein.“[1]
[1] „Il semble que la perfection soit atteinte non quand il n‘y a plus rien à ajouter,
mais quand il n‘y a plus rien à retrancher.“
Diese Erkenntnis hilft beim Platzproblem, zuletzt verursacht von der großen Zahl der Entscheidungen, der Ausführlichkeit der Beiträge und Glossen sowie der Fülle an aktuellen Übersichten. Saint-Exupéry hat uns motiviert, die Entscheidungstexte respektvoll,[1]aber couragiert zu kürzen. Besonders bei Entscheidungen des EuGH entfernen wir uns relativ weit vom Originaltext. Ein gutes Beispiel ist C-40/17, Fashion ID, auf Seite 291 dieses Hefts. In der deutschen Fassung dieser Entscheidung findet sich die folgende Passage zur Beschreibung des Ausgangsfalls genau zwölfmal:
„[. . .] in diese Website ein Social Plugin einbindet, das den Browser des Besuchers dieser Website veranlasst, Inhalte des Anbieters dieses Plugins anzufordern und hierzu personenbezogene Daten . . . [zu übermitteln]“.
[1] siehe dazu auch Hinger, Abgekü, ÖJZ 2011/6, 48.
Wir hielten es für vertretbar, auf diese Wendung regelmäßig zu verzichten, weil ohnedies nach dem ersten Mal klar ist, welcher Sachverhalt hier beurteilt wird. Die Hinwendung des EuGH zu solchen textlichen Redundanzen ist aber verständlich, weil es sich eingebürgert hat, nicht ganze Entscheidungen zu zitieren, sondern nur mehr einzelne Absätze („C-40/ 17, Rn 97“), sodass auch nur mehr einzelne Absätze gelesen werden, bei denen dann allerdings hilfreich ist, wenn in ihnen wiedergegeben wird, worum es geht.
Die Erkenntnis, dass in der Kürze die Würze liegt, ist gleich richtig wie abgegriffen und banal; auch der Goethe und vielen anderen Urhebern zugeschriebene Satz „Für einen kurzen Brief habe ich keine Zeit, deshalb schreibe ich dir einen langen.“ ist gleichsam bekannt wie schon langweilig.
Genug der Länge – nun zur Kürze:
Anfang Oktober hatte ich Gelegenheit, in Hamburg mit einem Juristen der SPIEGEL-Rechtsabteilung zu sprechen. Erfreut hat er mir darüber berichtet, vor Kurzem auch in Österreich einen Urheberrechts-Prozess gewonnen zu haben, wenn auch erst in dritter Instanz. Doch weniger der Prozesserfolg erfreute ihn (und mich), sondern der Umstand, dass das ganze Verfahren durch drei Instanzen nur ein Jahr gedauert hat. Eine solche Verfahrenskürze sei in Deutschland nicht denkbar. (Über die Entscheidung 4Ob53/19a wird demnächst in den ÖBl berichtet.)
Für Saint-Exupéry jedoch hatte die Kürze eine traurige Bedeutung. Am 31.7.1944, ungefähr einen Monat nach seinem 44. Geburtstag, startete er ein Aufklärungsflugzeug vom Flughafen Bastia auf Korsika und kehrte nie wieder zurück.
Reinhard Hinger
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09.04.2025
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