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OGH als KOG, Beschluss vom 7.2.2011, 16 Ok 7/1007.06.2011

Der gegenständliche Beschluss betrifft ein Thema, welches in der österreichischen Kartellrechtspraxis immer wieder Anlass zu Diskussionen gibt: die teils erheblichen Kosten von österreichischen Verfahren in der Zusammenschlusskontrolle (mit Anmerkung von Heinrich Kühnert, Rechtsanwalt bei bpv Hügel Rechtsanwälte OG).

Zwar ist die Anmeldegebühr bei der BWB in § 10a Abs 1 WettbG mit EUR 1.500 moderat bemessen. Gelingt in einer Phase 2 vor dem Kartellgericht allerdings keine vorzeitige Lösung über Zusagen, so kommen erhebliche Kosten auf den Anmelder zu. Zusätzlich zu Gerichtsgebühren von bis zu EUR 30.000 hat er nämlich auch die Kosten des in der Praxis durchwegs bestellten ökonomischen Gutachters zu tragen (§ 55 iVm 50 Z1 KartG).

Dass die Sachverständigengebühren erheblich sein können, zeigt der vorliegende Fall – ein, wie das Kartellgericht mit Verweis auf den Umfang der Prüfungsanträge (80 Seiten) und seines Gutachtensauftrags an den Sachverständigen (mehr als 10 Seiten) hervorhebt, augenscheinlich komplexer Medienzusammenschluss. Nachdem das Kartellgericht mit seinem Gutachtensauftrag vom 22.10.2009 eine Kostenschätzung aufgetragen hatte, schätzte der Sachverständige am 30.11.2010 seine Gebühren mit EUR 205.700.

In der Folge zog eine der beiden Anmelderinnen am 21.12.2009 ihre Anmeldung zurück, da sie von der dem Zusammenschluss zugrundeliegenden Vereinbarung zurückgetreten sei. Nachdem am 15.1.2010 auch die zweite Anmelderin von dem Vorhaben Abstand genommen hatte, zogen die Amtsparteien ihre Prüfungsanträge zurück und das Kartellgericht stellte das Verfahren am 20.1.2010 ein.

In der Zwischenzeit hatte der Sachverständige jedoch sein Gutachten fertig gestellt, welches er dem Kartellgericht am 5.1.2010 vorlegte. Seine Gebührennote für das rund 200-seitige Gutachten belief sich auf einen Betrag von EUR 278.750,80.

Beide Anmelderinnen erhoben vor dem Kartellgericht Einwendungen gegen diesen Gebührenantrag, soweit er die Kostenschätzung des Sachverständigen von November 2010 überstieg. Nach Auffassung der Anmelderinnen hatte der Sachverständige dadurch, dass er nicht auf die Überschreitung seiner Kostenschätzung hingewiesen hatte, gegen seine Warnpflicht nach § 25 Abs 1a GebAG verstoßen; sein Anspruch sei daher auf den ursprünglich geschätzten Betrag zu beschränken.

Das Kartellgericht setzte die Sachverständigengebühren in voller Höhe der Gebührennote fest. In seinem Beschluss vertrat es die Rechtsauffassung, dass § 25 GebAG im kartellgerichtlichen Verfahren nicht anzuwenden sei. Der Rekurs der Anmelderinnen gegen diesen Beschluss war erfolgreich.

Aus den Entscheidungsgründen:

2. § 25 Abs 1a GebAG in der Fassung BGBl I 2007/111 normiert eine Warnpflicht des Sachverständigen. Danach hat der Sachverständige das Gericht oder die Staatsanwaltschaft rechtzeitig darauf hinzuweisen, wenn zu erwarten ist oder sich bei der Sachverständigentätigkeit herausstellt, dass die tatsächlich entstehende Gebühr die Höhe des Kostenvorschusses, mangels eines solchen den Wert des Streitgegenstands oder 2.000 EUR, im Verfahren vor dem Landesgericht oder im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft aber 4.000 EUR übersteigt, wenn das Gericht oder die Staatsanwaltschaft den Sachverständigen nicht anlässlich des Auftrags von dieser Verpflichtung befreit hat. Unterlässt der Sachverständige den Hinweis, entfällt insoweit der Gebührenanspruch. […]

3. […] Nach den Materialien verfolgt die Neuregelung der Warnpflicht den Zweck, dass sich Gericht und Parteien möglichst frühzeitig eine grobe Vorstellung von den Kosten des Gutachtens und dem Sinn des Gutachtensaufwands machen können, um gegebenenfalls den Gutachtensauftrag präziser zu fassen und frustrierte Aufwendungen im Beweisverfahren zu vermeiden (303 BlgNR 23. GP 47).

4. Auf das kartellgerichtliche Verfahren wird zwar weder im Gesetzestext noch in den Materialien ausdrücklich Bezug genommen; die Erwägungen der Materialien gelten aber auch für dieses. Gerade bei den dort regelmäßig umfangreichen und komplexen Aufgabenstellungen der Sachverständigen, die - wie der vorliegende Fall eindrucksvoll zeigt – zu immensen Gebühren führen können, ist es von besonderer Bedeutung, Parteien und Gericht über die Kosten des Gutachtens zu informieren.

Da das Gesetz, wie auch die Rekurswerberinnen betonen, Außerstreitverfahren nicht von seinem Geltungsbereich ausnimmt, sondern sogar das nicht der Parteiendisposition unterliegende Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften ausdrücklich einbezieht, ist ein sachlicher Grund für die Ausklammerung gerade des kartellgerichtlichen Verfahrens nicht zu erkennen.

5. Im vorliegenden Verfahren wurde zwar kein Kostenvorschuss auferlegt; es ist auch keine Bewertung des Streitgegenstands in Kartellsachen vorgesehen; es war aber, wie die Kostenschätzung des Sachverständigen zeigt, zu erwarten, dass die Gebühr weit mehr als die im Gesetz genannten Beträge von 2.000 EUR und 4.000 EUR beträgt. Damit wurde die Warnpflicht des Sachverständigen begründet, die nicht nur zu einer ersten Bekanntgabe der voraussichtlichen Kosten verpflichtet, sondern der Sachverständige muss auch warnen, wenn sich zeigt, dass er die voraussichtliche Gebühr zu gering geschätzt hat. Andernfalls würde der Zweck der gesetzlichen Regelung nur unvollkommen erreicht. Denn die in den Materialien genannten Maßnahmen, wie etwa eine Präzisierung des Gutachtensauftrags und die Vermeidung frustrierter Aufwendungen im Beweisverfahren, können auch dann sinnvoll und notwendig sein, wenn der ursprünglich genannte Gebührenbetrag voraussichtlich überschritten wird.

Anmerkung:

Mit seiner Entscheidung korrigiert der OGH ein durchaus verständliches gesetzgeberisches Versehen: Nach ihrem Wortlaut entsteht die Warnpflicht des § 25 Abs 1a GebAG nämlich nur, wenn die Gebühr entweder den Wert des auferlegten Kostenvorschusses oder des Streitgegenstandes, oder die Beträge von EUR 2.000 (im bezirksgerichtlichen Verfahren) bzw. EUR 4.000 (im Verfahren vor dem Landesgericht oder in Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft) übersteigt. Auf das erstinstanzliche Verfahren vor dem Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht finden die genannten Betragsgrenzen folglich nicht ausdrücklich Anwendung.

Wie der OGH aber zu Recht ausführt, kommt dem Zweck der Warnpflicht, Gericht und Parteien eine Vorstellung vom Gutachtensaufwands zu geben, um den Gutachtensauftrag gegebenenfalls präziser zu fassen und frustrierte Aufwendungen vermeiden zu können, gerade im kartellgerichtlichen Verfahren besondere Bedeutung zu. Denn die komplexen ökonomischen Fragestellungen und der große empirische Aufwand bei der Datensammlung und -auswertung führen hier regelmäßig zu sehr hohen Gebühren.

Die so festgestellte planwidrige Lücke schließt der OGH durch analoge Anwendung der Betragsgrenzen des § 25 Abs 1a GebAG, die in kartellgerichtlichen Verfahren so gut wie immer erreicht werden. Somit trifft den Sachverständigen im Verfahren vor dem Kartellgericht auch dann eine Warnpflicht, wenn kein Kostenvorschuss auferlegt wurde. Ferner stellt der OGH klar, dass der Sachverständige nochmals warnen muss, sollte sich seine ursprüngliche Schätzung als zu niedrig erweisen.

Die Entscheidung des OGH in Anbetracht der hohen Kosten besonders von Phase 2 Zusammenschlussverfahren in Österreich zu begrüßen. Allerdings ist mit ihr nur ein kleiner Schritt zur Kostenkontrolle getan. Sachverständige werden infolge dieser Entscheidung bei Überschreitung des Schätzbetrags ordnungsgemäß warnen, um ihren Anspruch für den Mehraufwand zu wahren. Ob der Aufwand aber infolge einer solchen Warnung reduziert wird, liegt in den Händen der Amtsparteien und des Kartellgerichts. Für die Amtsparteien bestehen – auch wenn sie in der Praxis immer wieder zu pragmatischen Lösungen bereit sind – mE keine ausreichenden Anreize, den Prüfungsaufwand aus Kostengründen einzuschränken, da die Gebühren jedenfalls von den Anmeldern zu tragen sind. Es wird daher weiterhin am Kartellgericht liegen, den Aufwand bei gleichzeitiger umfassender Prüfung innerhalb der fünfmonatigen Prüfungsfrist überschaubar zu halten – eine, wie die Materialien zu § 13 AußStrG zu Recht anerkennen,[1]sehr anspruchsvolle Aufgabe.

Dr. Heinrich Kühnert, MJur

bpv Hügel Rechtsanwälte


[1]RV 224 d.B., XXII GP, wo auf S. 31 der Mat. ein „großer Zielkonflikt“ zwischen den in § 13 AußStrG genannten Zielen der erschöpfenden Erörterung und gründlichen Beurteilung der Sache einerseits und der möglichst kurzen Verfahrensdauer andererseits eingeräumt wird.

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