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Geldbußen wegen Vollzugs eines Zusammenschlusses unter Verstoß gegen Art 4 Abs 1 und Art 7 Abs 1 der VO(EG) Nr. 139/200404.03.2020

EuGH C-10/18P, 4.3.2020

Sachverhalt

Mit 18.12.2012 erwarb Mowi ASA (vormals Marine Harvest ASA, eine auf dem Gebiet der Zucht und Erstverarbeitung von Fisch in mehreren Ländern tätige Gesellschaft norwegischen Rechts) rund 48,5% der Gesellschaftsanteile an dem norwegischen Wettbewerber Morpol ASA („Morpol“) („Erwerb vom Dezember 2012“). Mowi ASA gab zudem ein öffentliches Übernahmeangebot für die übrigen Anteile an Morpol ab und erwarb in Folge insgesamt 87,1% der Anteile an Morpol, dieser Erwerb wurde am 12.11.2013 vollzogen.

Im Hinblick auf den Erwerb alleiniger Kontrolle, die nach Ansicht von Mowi ASA erst mit Erwerb der übrigen Anteile erreicht wurde, brachte Mowi ASA am 9.8.2013 eine förmliche Zusammenschlussanmeldung bei der Europäischen Kommission ein, den diese mit Beschluss vom 30.9.2013 genehmigte. In diesem Beschluss stellte die Kommission jedoch fest, dass Mowi ASA bereits mit dem Erwerb der 48,5% vom Dezember 2012 faktisch alleinige Kontrolle an Morpol erworben hatte (aufgrund der geringen Anwesenheitsquote der übrigen Aktionäre in den Hauptversammlungen der letzten Jahre). Die Kommission verhängte in Folge mit Beschluss vom 23.7.2014 sowohl eine Geldbuße iHv € 10.000.000 wegen Verstoßes gegen die Anmeldepflicht nach Art 4 Abs 1 als auch eine Geldbuße iHv € 10.000.000 wegen Verstoßes gegen das Verbot der Durchführung vor Freigabe („Stillhaltepflicht“) nach Art 7 Abs 1 der Verordnung Nr. 139/2004 („FKVO“).

Das EU-Gericht Erster Instanz („EuG“) wies die dagegen eingebrachte Nichtigkeitsklage ab, woraufhin Mowi ASA Rechtsmittel an den EU Gerichtshof („EuGH“) erhob.

Argumente

Mowi ASA argumentierte, der EuG habe zu Unrecht die Ausnahmebestimmung des Art 7 Abs 2 FKVO für  öffentliche Übernahmeangebote für nicht anwendbar erklärt. Der Erwerb vom Dezember 2012 und das öffentliche Übernahmeangebot seien aber durch eine Bedingung miteinander verbunden und würden die beiden Erwerbsschritte somit einen einzigen Zusammenschluss darstellen, der von der Anmeldung gedeckt sei. .

Zudem verstoße die Verhängung zweier Geldbußen wegen Verstoßes gegen Art 4 Abs 1 und Art 7 Abs 1 unter anderem gegen den Grundsatz ne bis in idem und den Grundsatz der Konkurrenz von Zuwiderhandlungen, wie es ihn im Völkerrecht und Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gebe. Eine Stillhaltepflicht vor Freigabe nach Art 7 würde demnach den Verstoß einer Nichtanmeldung nach Art 4 FKVO miteinschließen, da ein Verstoß gegen eine Verletzung der Stillhaltepflicht zwangsläufig auch einen Verstoß gegen die Anmeldepflicht zur Folge hätte.

Entscheidung des EuGHs

In seiner Entscheidung hielt der EuGH die Rechtsansicht des Gerichts aufrecht, wonach der Begriff eines „einzigen Zusammenschlusses“ den gegenständlichen Fall nicht erfasst. Dies, da nach Ansicht des EUGH alleinige Kontrolle bereits durch das erste private Erwerbsgeschäft (den Erwerb vom Dezember 2012) auf Mowi ASA übergegangen ist und daher dieser Erwerbsschritt – unabhängig vom später erfolgten öffentlichen Übernahmeangebot – anmeldepflichtig war.  Zudem sei Art 7 Abs 2 (Ausnahmen für öffentliche Übernahmeangebote) als Ausnahmebestimmung grundsätzlich eng auszulegen.

Weiters kam der EuGH zu dem Schluss, dass kein Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem vorliegt, da die Geldbußen wegen Verstoßes gegen Art 4 Abs 1 und Art 7 Abs 1 von derselben Behörde in demselben Beschluss verhängt wurden (und eine Sanktionierung nicht bereits in einer früheren, rechtskräftig gewordenen Entscheidung stattgefunden hatte).

Hinsichtlich der Konkurrenz in Form des Zusammentreffens von Zuwiderhandlungen verwies der EuGH darauf, dass die beiden Bestimmungen unterschiedliche Pflichten (Art 4 Abs 1 eine Handlungs-, Art 7 Abs 1 eine Unterlassungspflicht) vorsehen und es sich bei diesen um unterschiedliche Arten von Zuwiderhandlungen (einmaliger Verstoß nach Art 4 Abs 1 und dauerhafte Zuwiderhandlung nach Art 7 Abs 1) handelt, die unterschiedliche Verjährungsfristen auslösen. Insofern sei keine der beiden Bestimmungen als „vorrangig“ vor der anderen anzusehen und sei daher jeweils eine Gelbuße wegen Verstoß gegen Art 4 UND Art 7 FKVO gerechtfertigt.

Ein Verstoß gegen Art 4 Abs 1 bedeutet zwar immer auch einen Verstoß nach Art 7 Abs 1 FKVO, allerdings gibt es auch, wenn ein angemeldeter Zusammenschluss bereits vor Freigabe vollzogen wird, einen ausschließlichen Verstoß gegen Art 7 FKVO. Auch nach der  FKVO seien beide Verstöße als eigenständige Sanktionstatbestände anzusehen für die, falls sie gleichzeitig begangen werden, getrennte Geldbußen verhängt werden können (ein Vorbringen der Klägerinnen auf Rechtswidrigkeit der Bestimmungen der FKVO wies dieser als verspätet zurück).

Unterschied zu den Schlussanträgen

Dass ein Unternehmen sowohl für die Nichtanmeldung eines Zusammenschlusses als auch die verbotene Durchführung des Zusammenschlusses bebußt werden kann, überrascht, da ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 FKVO  automatisch einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 zur Folge hat. Der EuGH hingegen stützte sich in seiner Rechtsfindung (und damit der Bejahung einer Doppelstrafe) strikt auf den Wortlaut der FKVO (und wies das Argument der Rechtswidrigkeit der FKVO als verspätet zurück).

Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist auch, dass der EuGH in seinem Urteil nicht dem Schlussantrag von Generalanwalt Tanchev gefolgt ist. Dieser hatte sich – unter Berufung auf Grundsätze in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten (die Lehre zur Konkurrenz im deutschen sowie Grundsätze nach französischem Recht) –  dafür ausgesprochen, im gegenständlichen Fall lediglich eine Geldbuße, und zwar aufgrund eines Verstoßes gegen die Stillhaltepflicht gem Art 7 Abs 1 FKVO, zu verhängen.  Der Generalanwalt begründete diese Konkurrenz damit, dass ein Verstoß gegen Art 7 Abs 1 FKVO jenen nach Art 4 Abs 1 FKVO miteinschließe. So würde Art 7 Abs 1 FKVO alle Tatbestandsmerkmale des Art 4 Abs 1 FKVO beinhalten und sei die Verletzung von Art 4 Abs 1 FKVO eine Vortat zum Verstoß des Spezialtatbestands iSd Art 7 Abs 1 FKVO. Auch habe nur ein Verstoß gegen Art 7 Abs 1 FKVO eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs zur Folge und sei ein isolierter Verstoß gegen Art 4 Abs 1 FKVO nach der derzeit geltenden Verordnung Nr. 139/2004 nicht möglich.

Gerhard Fussenegger und Raphaela Grünmann, bpv Hügel

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