Lesen Sie die Zusammenfassung und Bewertung der sehr spannenden Urheberrechtsentscheidung zum Ibiza-Video (E OGH 23.1.2020, 6Ob236/19b).
Entscheidung des OGH vom 23.1.2020 zur Geschäftszahl 6 Ob 236/19b
Vorbemerkung
Im Mai vor einem Jahr erschütterte Österreich ein öffentlich gemachtes Video, das zwei FPÖ-Politiker im Gespräch mit einer vermeintlichen russischen Oligarchin über unter anderem verdeckte Parteispenden, Vergabe von staatlichen Infrastruktur-Bauaufträgen für Wahlkampfhilfe oder die Kontrolle der österreichischen Medienlandschaft zeigt. Die ohne Wissen der beiden Politiker hergestellte Aufnahme, die ob des Austragungsortes als „Ibiza-Video“ in die Geschichtsbücher eingehen wird, löste nicht nur eine Reihe politischer Konsequenzen aus, sondern entfachte auch eine neue Diskussion über Qualitätsjournalismus, den Anteil privater Berichterstattung an der Medienfreiheit und über das Verhältnis zwischen dem Schutz der Persönlichkeit und dem öffentlichen Interesse an Information bei investigativem Journalismus. Der OGH hatte nunmehr am 23.1.2020 die Gelegenheit, zu einzelnen dieser Fragen im Wege eines Revisionsrekurses gegen eine Einstweilige Verfügung des Landesgerichtes für ZRS Wien Stellung zu nehmen.
Ausgangslage
In einer Finka auf Ibiza fand am 24.7.2017 ein Treffen zwischen dem Kläger Johann Gudenus, H.C. Strache als weiteren FPÖ-Politiker, und zwei anderen Personen statt, das vom beklagten Wiener Rechtsanwalt initiiert worden sein soll. Von den Politikern wurde angenommen, dass es sich um ein vertrauliches Gespräch mit der Nichte eines russischen Oligarchen und ihrem Begleiter handeln würde. Tatsächlich war die vermeintlich reiche Russin jedoch eine Schauspielerin, der vom Beklagten ein entsprechendes Drehbuch für dieses Zusammentreffen mitgeteilt worden sein soll; so stellte sie ihren Gesprächspartnern ihre falsche Identität vor und täuschte in dieser Rolle ein Interesse an Investitionen und einer Zusammenarbeit mit deren politischer Partei vor. Der Beklagte soll das gesamte mehrstündige Gespräch vom Begleiter der Schauspielerin heimlich mit Bild und Ton mitfilmen haben lassen, um das Video später dann verkaufen zu können; tatsächlich hat er es auch an diverse Medienunternehmen angeboten. Schlussendlich haben „Süddeutsche Zeitung“ und „Der Spiegel“ die Aufnahmen bekommen und Teile des Videos sowie einzelne Inhalte der Gespräche in Artikeln veröffentlicht.
Der Kläger beantragte im Sommer 2019 die Unterlassung der Herstellung und Verbreitung sowie Veröffentlichung der heimlichen Ton- und Bildaufnahme des Treffens sowie der Transkripte der Filmaufnahmen. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien erließ die Einstweilige Verfügung antragsgemäß. Der dagegen vom Beklagten erhobene Rekurs blieb erfolglos, jedoch ließ das Oberlandesgericht Wien den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil Rechtsprechung zu ähnlichen Sachverhaltskonstellationen bislang fehlte.
Die Entscheidung des OGH
Der OGH hat dem Revisionsrekurs des Beklagten teilweise Folge gegeben und die Einstweilige Verfügung insoweit abgeändert, dass dem Beklagten zwar verboten wurde, Ton- oder Bildaufnahmen vom Kläger ohne dessen Einverständnis herzustellen; im übrigen jedoch, und zwar dem Beklagten zu verbieten, Ton- und Bildausschnitte aus dem Video zu veröffentlichen, zu verbreiten, oder anderen Personen vorzuspielen, wurde das Sicherungsbegehren abgewiesen. Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Veröffentlichung der Videoaufnahme „einen außergewöhnlich großen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete“, während die durch die Aufnahme bewirkte Eingriffshandlung in die Persönlichkeitsrechte des Klägers nicht nur das öffentlichen Interesse zu rechtfertigen sei. Diese Begründung war dem im Provisorialverfahren bescheinigten Sachverhalt geschuldet, wonach der Beklagte die Aufnahme in Gewinnabsicht und nicht mit dem Zweck einen Beitrag zur öffentlichen Debatte zu leisten, angefertigt habe, und die Aufnahme damit nach Ansicht des OGH nicht in einem derart engen Zusammenhang mit der nachfolgenden Veröffentlichung stehen würde, um sie als einheitlichen Vorgang zu bewerten.
So würden geheime Bildaufnahmen im Privatbereich regelmäßig eine Verletzung der Geheimsphäre darstellen (RIS-Justiz RS0107155). Es bedürfe daher einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall, bei der dem Interesse am gefährdeten Gut die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen. Der Beklagte könnte sich nach Ansicht des Gerichtes mit der Veranlassung der heimlichen Videoaufnahmen nicht darauf stützen, das Motiv verfolgt zu haben, zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beizutragen. So veranlasste er die Aufnahme vielmehr, um das Video gewinnbringend zu verkaufen. Mit der bloßen Weitergabe gegen Entgelt, allenfalls an einen sehr eingeschränkten Personenkreis, sei aber noch kein Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse verbunden. Daraus würde sich kein von Art 10 EMRK geschütztes Interesse des Beklagten ergeben, das höher zu bewerten wäre als das Interesse des Klägers, während eines nicht in der Öffentlichkeit geführten Gesprächs nicht heimlich in Bild und Ton aufgenommen und nicht über die Identität seiner Gesprächspartner getäuscht zu werden.
Anders verhält es sich jedoch für die Zugänglichmachung der Aufnahmen an zwei Medienunternehmen, womit die Voraussetzung geschaffen wurde, dass diese die Aufnahme veröffentlichen, verbreiten und anderen vorspielen, sowie Transkripte herstellen und diese ihrerseits verbreiten konnten. Hinsichtlich dieser Eingriffshandlungen (und zwar als mittelbarer Störer, in dem der Beklagte die Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Klägers faktisch ermöglichte) kann sich der Beklagte aber - anders als hinsichtlich der Herstellung der Aufnahmen - zur Rechtfertigung des dadurch bewirkten Eingriffs in die Privatsphäre des Klägers auf die von Art 10 EMRK geschützte Meinungsäußerungsfreiheit stützen, weil die hier zu beurteilende Eingriffshandlung tatsächlich einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete. So wurde die Öffentlichkeit durch die Weitergabe des Videos an zwei Medienunternehmen und die dadurch ermöglichte Veröffentlichung in die Lage versetzt, sich selbst ein Bild über die persönliche Integrität (unter anderem) des Klägers zu machen und daraus Schlüsse auf seine Eignung zur Ausübung hoher politischer Ämter zu ziehen. Der OGH resümierte, dass die Veröffentlichung der Videoaufnahme einen außergewöhnlich großen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse leistete. Dieser Beitrag sei im vorliegenden Fall höher zu gewichten als das Interesse des Klägers an der Wahrung der Vertraulichkeit des stattgefundenen Gesprächs.
Resümee
Mit der differenzierten Betrachtung zwischen Informationsbeschaffung und Verbreitung eröffnet der OGH eine bislang so nicht judizierte Auffassung; so wurden die beiden Handlungen doch stets als Tateinheit verstanden und war vielmehr die Aufdeckungsaktion unabdingbare Voraussetzung der nachfolgenden Veröffentlichung, weshalb die Rechtsverletzung im Rahmen der Interessenabwägung nach Art 10 EMRK oft schon damit begründet wird.
So ist unter anderem in ständiger Rechtsprechung des EGMR die Art der Erlangung der Informationen bei der Abwägung des Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens zu berücksichtigen (vgl zB Rs Haldimann ua. geg. Schweiz, Urteil vom 24.2.2015, Bsw. 21830/09, Rz 50). Dem ist jedoch hinzuzufügen, dass sich eine Art „Verwertungsverbot“ für rechtswidrig erlangte Informationen, wonach Medien Informationen, die sie etwa unter Verletzung von Verschwiegenheitspflichten durch Dritte erhalten haben, nicht veröffentlichen dürften, aus der Rechtsordnung nicht ableiten lässt und wäre auch mit der vom EGMR postulierten Rolle der Medien als „public watchdog“ unvereinbar (vgl RIS-Justiz RS0123667). Zuletzt releviert wurde diese Problematik etwa vom deutschen BGH (Urteil vom 30. September 2014 - VI ZR 490/12) in einer Sachverhaltskonstellation, bei der die Zulässigkeit der Veröffentlichung rechtswidrig erlangter E-Mails durch Medienunternehmen moniert wurde, wobei das Medienunternehmen an der rechtswidrigen Erlangung nicht beteiligt war, und ihm die Informationen nur zugespielt wurden. Jedoch bemerkte der BGH obiter dictum, dass in Fällen, in denen der Publizierende sich die Informationen widerrechtlich durch Täuschung in der Absicht verschafft hat, sie gegen den Getäuschten zu verwerten, die Veröffentlichung grundsätzlich zu unterbleiben habe.
Dies steht auch im Einklang mit der Judikatur des EGMR; wonach Art 10 MRK keine völlig uneingeschränkte Freiheit der Meinungsäußerung garantiert, auch nicht in Bezug auf eine Presseberichterstattung über Angelegenheiten von ernsthaftem öffentlichen Interesse. Der Schutz, den Art 10 MRK Journalisten für eine Berichterstattung über Fragen des öffentlichen Interesses bietet, steht unter dem Vorbehalt, dass sie in gutem, auf eine genaue und verlässliche Information gerichteten Glauben handeln, im Einklang mit den Geboten der journalistischen Ethik (vgl EGMR Urteil vom 22.2.2007, Bsw 37464/02). Im Rahmen des investigativen Journalismus wäre es daher wohl auch nur unter strengen Kriterien, die die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen respektieren, zulässig, eine Situation zu inszenieren, um dem Getäuschten so bestimmte Inhalte zu entlocken, die dann veröffentlicht werden. So wurde in der Angelegenheit Haldimann (EGMR 24.2.2015, Rs 21830/09) etwa der Betroffene nachträglich eingeladen, dazu Stellung zu nehmen, was der Versicherungsmakler sowie in der Folge auch das Unternehmen, für das der Makler tätig war, zurückwiesen.
Letztlich wird es stets eine Frage des Einzelfalls sein, ob die Anforderungen an die journalistische Sorgfalt gewahrt sind, und damit noch eine zulässige qualitätsvolle Berichterstattung vorliegt. Die Grenze zwischen gutem investigativem Journalismus, der Grundpfeiler eines pluralistischen Meinungsbildungsprozesses ist, und dem verpönten Einsatz von unlauteren Methoden bei der Recherche zur Enthüllung von Missständen wird oft nahe beieinanderliegen.
Eine andere Frage ist nun, ob diese Interpretation des Art 10 EMRK auch für den „Bürgerjournalist“ gilt oder gelten soll, und sich die Privatperson (im konkreten Fall als Informant der Presse) überhaupt auf dieselbe Grundrechtsfreiheit wie die Medien selbst berufen kann. Die rechtliche Beurteilung des OGH lässt nämlich prinzipiell diesen Schluss zu, auch wenn dazu nicht explizit Stellung genommen wird. Das OLG Wien hat hingegen in seiner Rekursentscheidung sehr wohl noch ausgeführt, dass die Privatperson in ihrer journalistischen Tätigkeit anders zu behandeln sei als ein Medienunternehmen. So sei die Weitergabe des Videos an Medienunternehmen nicht durch das Recht auf Informationsfreiheit gerechtfertigt, weil bei der Weitergabe durch den Beklagten andere Maßstäbe anzuwenden seien als bei Medienunternehmen, deren Aufgabe es sei, Material von öffentlichem Interesse zutage zu fördern, diese sich aber auch einer Selbstbindung an Grundsätze journalistischen Arbeitens unterwerfen würden.
Das erinnert an eine im Zusammenhang mit dem Datenschutzrecht aktuell schwelende Diskussion um die Frage, ob das Medienprivileg als Ausnahme von den datenschutzrechtlichen Beschränkungen der Informationsverarbeitung nur Medienunternehmen oder auch Bloggern, Influencern und anderen Privatpersonen bei ihrer publizistischen Tätigkeit zukommen soll. Den Umstand, dass auf Bürgerjournalismus ebenso die Befreiungen und Ausnahmen aus dem Datenschutzrecht zum Schutz der Medienfreiheit anwendbar sein können, und letztlich für alle gelten, die journalistisch tätig sind, hat der EuGH in einer Entscheidung am 14.02.2019, Rs C-345/17, Buivids, bestätigt. Anlass für dieses Erkenntnis war die Aufzeichnung von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle auf Video während der Aufnahme einer Aussage, und die anschließende Veröffentlichung des Filmers über Youtube. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind „journalistische Tätigkeiten“ solche Tätigkeiten, die zum Zweck haben, Informationen, Meinungen oder Ideen, mit welchem Übertragungsmittel auch immer, in der Öffentlichkeit zu verbreiten, weshalb sich nicht nur Berufsjournalisten mit ihren Inhalten auf das Medienprivileg nach Art 85 Abs 1 DSGVO berufen können.
Interessant ist, dass auch der EuGH für den Schutz der Inhalte der Privatperson nach Art 10 EMRK ausgesprochen hat, dass dann, wenn sich erweisen sollte, dass die Aufzeichnung und die Veröffentlichung der Videos nicht ausschließlich zum Ziel hatten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten, nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten "allein zu journalistischen Zwecken" erfolgte. Damit im Einklang offenbart sich scheinbar die Entscheidung des OGH, der aufgrund des unterstellten Primärzwecks der Aufnahme selbst – nämlich die gewinnbringende Verbreitung – das Vorliegen von durch Art 10 EMRK geschützten journalistischen Absichten im Sinne der Aufdeckung von öffentlich relevantem Fehlverhalten von Politikern ablehnt. Hervorzuheben ist, dass der OGH diesen Themenkomplex jedoch nicht speziell unter dem Aspekt des sachlichen Anwendungsbereichs von Art 10 MRK releviert.
Sonja Dürager, Rechtsanwalt bei bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH
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