Stellungnahme der Österreichischen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (Referent Christian Handig)
BMJ-Z8.451/0025-I 4/2011
Europäische Kommission
RL-Vorschlag „verwaiste Werke“
Stellungnahme der Österreichischen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht
Sehr geehrter Herr Dr. Mohr!
Von der Österreichischen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (ÖV) wird der Vorschlag für eine Richtlinie über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke von der Europäischen Kommission mit Interesse zur Kenntnis genommen.
Angesichts der sehr hohen Rate an verwaisten Werken, zB zwei Drittel der Bücher des 20 Jhdt[1]sowie 90% des Fotografien[2]gelten als verwaist, besteht ein Regelungsbedarf und der Entwurf wird daher grundsätzlich begrüßt. Ungeachtet dessen bestehen einige offenen Regelungspunkte:
Anwendungsbereich (Art 1)
Der vorliegende Richtlinienvorschlag soll nur Archive, Sammlungen, Museen und Projekte wie die Europeana privilegieren. In dieser Beschränkung liegt auch ein wesentlicher Mangel des Richtlinienvorschlags, weil durch den sehr eingeschränkten Kreis der Begünstigten zwar die Wahrscheinlichkeit einer schneller Durchsetzung im Rechtssetzungsprozess deutlich gesteigert wird, umgekehrt werden dem aber berücksichtigungswürdige andere ähnlich Nutzungen geopfert. Hat doch die Festlegung durch eine Norm typischerweise den Effekt, dass spätere Änderungen wesentlich schwieriger werden (sog „Versteinerung der Rechtslage“). Die Richtlinie dürfte daher im Fall ihres Inkrafttretens zwar das europäische Projekt „Europeana“ unterstützen, darüber hinausgehende Ausnahmen könnten aber nachhaltig behindert werden .
Weiters umfasst der Richtlinienvorschlag keine Werke, die nur in elektronischer Form zugänglich gemacht wurden. Im Hinblick darauf, dass eine (im Grünbuch geplante) Auseinandersetzung mit Nutzer generierten Inhalten im Internet in nächster Zeit doch nicht vorgenommen wird, wäre es sinnvoll, derartige Werke nicht auszuschließen; dies gilt umso mehr, als gerade in diesem Bereich sehr viel produziert wird, das nicht nur urheberrechtlich relevant ist, sondern auch deren Urheber besonders schwer festzustellen sind, weil sehr viele Werke mehr oder weniger anonym verfasst werden.
Leistungsschutzrechte (eventuell Art 2)
Der Richtlinienvorschlag behandelt ausschließlich die Rechte der Urheber. Es sollte aber klargestellt werden, dass auch Leistungsschutzrechte geregelt werden. Dabei ist insb an Leistungsschutzrechte im Sinne des Erwägungsgrunds 19 der SchutzdauerRL[3]zu denken. Würde dies nicht geschehen, so hätte die Regelung nur den Effekt, dass zB zwar nicht gegen die Rechte der Urheber der Lichtbildwerke, wohl aber gegen die (idR zeitlich kürzeren) Leistungsschutzrechte des Herstellers der Lichtbild verstoßen würde. Da durch die nationale Rechtsprechung gesichert ist, dass diese Rechte parallel anzuwenden sind, wäre dies unzweifelhaft der Fall.
Nur teilweise unbekannte Miturheber (eventuell Art 2)
Der Richtlinienvorschlag sollte bei mehreren Urhebern eines Werks, bei denen ein Teil der Urheber bekannt ist, hinsichtlich der unbekannten Urheberdennoch gelten. Alternativ dazu könnte überlegt werden, ob dem Miturheber die Möglichkeit einer Stellvertretung für die unbekannten anderen Miturheber eingeräumt wird. Diesen wohl nicht so seltenen Fall gar nicht zu regeln, wäre ein deutlicher Schwachpunkt der Regelung.
Fehlende Definitionen (eventuell Art 2)
Im vorliegenden Richtlinienvorschlagfehlen unserer Meinung nach einige Definitionen, zB für den Begriff der „Veröffentlichung“. Das erscheint aus rechtpolitischer Sicht bedauerlich, schließlich sind im Wesentlichen alle in Rechtsinstrumenten der EU verwendeten Begriffe nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU autonom zu interpretieren.[4]Fehlen diese Definitionen, so muss deren Inhalt erst durch eine oder mehrere Vorabentscheidungsverfahren geklärt bzw festgelegt werden, was vermieden werden könnte.
Fristende (eventuell Art 5)
Für Werke unbekannter Urheber wäre es sinnvoll, eine Regel für das Ende der Urheberrechte einzuführen, falls der normale Fristenlauf mangels Kenntnis des Todes des Urhebers nicht bekannt ist. Da die Regelung auch für Leistungsschutzberechtigte gelten sollte, sollte auch dafür eine parallele Regelung getroffen werden.
Ein Urheber mehrerer verwaister Werke (eventuell Art 5)
Falls ein Werk einem Urheber zuordenbar ist, der (bzw dessen Erben) aber nicht auffindbar ist, so sollte klargestellt werden, dass - falls ein anderes Werk ebenfalls demselben Urheber zuzuordnen ist - eine weitere Suche entbehrlich ist.
Verhältnis zu anderen Richtlinien (eventuell Art 8)
Das Verhältnis zu anderen Richtlinien zur Harmonisierung des Urheberrechts, insb der InfoRL[5]sollte klargestellt werden. Vorgeschlagen wird, dass die Vorschriften eine weitere verpflichtende Ausnahme wie in Art 5 Abs 1 InfoRL darstellen.
Kein Entgelt
Wenn die Europäische Kommission die Auffassung vertritt, dass die vorliegende Nutzung keines gerechten Ausgleichs bedarf, was in der konkreten Fallgruppe ohnedies besonders schwierig sein dürfte, dann ist auch zweifelsfrei klarzustellen, dass kein Entgelt zu zahlen ist. Eine solche Klarstellung wäre aber notwendig, weil durch die Zugänglichmachung der Werke ein gewisser wirtschaftlicher Schaden (im Sinne von „harm“)[6]entstehen kann. Entgeltregelungen sind auch im Urheberrecht von so zentraler Bedeutung, dass jede noch so geringe Zweifel zu Konflikten führen können. Im konkreten Fall dürfte insb von Seiten der Verlage und der kollektiven Interessenswahrnehmung eine Kritik an diesem Vorhaben bestehen. Eine Klarstellung würde dies entbehrlich machen.
In diesem Fall wäre es auch zu begrüßen, dass seitens der Europäischen Kommission dargelegt wird in welchem Verhältnis die vorgeschlagene Reglung mit dem „Drei-Stufen-Test“ steht, dh, ob dieser anzuwenden und, falls diese Prüfung durchzuführen ist, warum dennoch kein Ausgleich notwendig ist. Im Hinblick auf eine allfällige Überprüfung durch den Gerichtshof der EU wäre es sinnvoll, dies in den Erwägungsgründen auszuführen, da der Gerichtshof üblicherweise nur diese bei seinen Interpretationen heranzieht.
Beweislastreglungen
Die Erbringung von Beweisen, zB wer tatsächlich Urheber ist und ob eine Veröffentlichung stattgefunden hat, wird aufgrund der Tatsache, dass seit dem Ereignis idR sehr viel Zeit vergangen ist, häufig schwierig sein. Es erscheint daher sinnvoll, auch für die Verteilung der Beweislastlast Regelungen zu treffen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Michael Meyenburg eh Mag. Hannes Seidelberger eh
Präsident Generalsekretär
[1]Haedicke, Patente und Piraten (2010) 64 und Hüttner/Ott, Schachern um das Weltkulturerbe, ZUM 2010, 377 (379).
[2]SEC (2011) 615, 11.
[3]Richtlinie 2006/116/EG über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte.
[4]ZB EuGH 7.12.2006, C-306/05, Sociedad General de Autores y Editores de España (SGAE) gegen Rafael Hoteles; EuGH 21.10.2010, C-467/08, Padawan SL gegen SGAE.
[5]Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft.
[6]EuGH 21.10.2010, C-467/08, Padawan SL gegen Sociedad General de Autores y Editores de España (SGAE).
ÖV Stellungnahme RL verwaiste Werke [oeV_-_Stellungnahme_RL_verwaiste_Werke.pdf, 25 KB]
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