Der OGH hat in mehreren Verfahren Fragen zur Privatkopieausnahme und öffentlichen Wiedergabe an den EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Dr. Sonja Dürager, Rechtsanwalt bei bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH
Vorwort
Streaming-Dienste und Online-Videorecorder führen immer wieder zu Streitfragen über Art und Umfang der Verwertung, Entgeltlichkeit oder freie Werknutzung. In die Serie von Entscheidungen zu Weitersendung als Live-Stream im Internet über OTT-Dienste (OGH 4 Ob 149/20w; 4 Ob 185/20i; 4 Ob 172/20b) reihen sich jetzt auch noch eine Entscheidung des OGH zu IPTV (samt Online-Videorecorder) und eine Entscheidung zur Rolle des Betreibers einer Streamingplattform, jeweils mit Vorlagefragen an den EuGH zur Auslegung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe nach Art 3 Abs 1 InfoRL 2001/29/EG, ein.
Der OGH zu IPTV und Online-Videorecorder (4 Ob 40/21t)
Anlass des am 27. Mai 2021 zu 4 Ob 40/21t gefassten Beschlusses war das Angebot einer „On Premises IPTV-Komplettlösung“, bei der die Beklagte neben Soft- und Hardware zum Empfang von TV-Programmen samt Online-Videorecorder über das Internet auch technischen Support leistet und laufende Anpassungen des Dienstes vornimmt, der Dienst aber zur Gänze auf der Infrastruktur des Kunden (zB Hotels) betrieben wird. Die Klägerinnen waren zwei Fernsehsender mit Sitz in Deutschland und Österreich. Die von den Klägerinnen veranstalteten und gesendeten TV-Programme waren im Senderportfolio der beklagten Partei sowie diverser Netzbetreiber enthalten, die das IPTV-Produkt der beklagten Partei als On-Premises- oder als Cloud-Lösung nutzten. Die Klägerinnen hatten zur Weiterverbreitung über Internetstreaming keine Zustimmung erteilt, weshalb sie ihre Rechte verletzt erachteten, und verlangten, dass es die Beklagte unterlässt, ihre Inhalte als Live-Stream öffentlich wiederzugeben und ihren Kunden, insbesondere im Rahmen der On-Premises-Lösung oder vergleichbarer Angebote, Dienste oder Produkte zur Verfügung zu stellen, mit denen die Programme der Klägerinnen als Live-Stream öffentlich wiedergegeben werden.
Die Beklagte hielt dem entgegen, die durch ihren Dienst erstellten Vervielfältigungen seien zulässige digitale Privatkopien. Den Kunden würden nur die technische Infrastruktur samt Datenspeicher zur Verfügung gestellt werden, allein sie könnten einzelne Aufnahmen starten und beenden. Die Organisationshoheit für die Kopierfunktion und die Herrschaft über die Nutzung des Systems würde daher nicht bei der Beklagten liegen. Das im Hintergrund laufende Verfahren der De-Duplizierung würde nur der Ressourcenoptimierung dienen, jedoch keine Masterkopie erzeugen.
Hinsichtlich der öffentlichen Wiedergabe durch den Vertrieb der IPTV-Komplettlösung und damit einer Handlung, die nicht selbst als Übertragung zu beurteilen ist, sondern die Übertragung durch Dritte nur erleichtert, meinte der OGH, dass die Beantwortung, ob ein solches Verhalten in den Anwendungsbereich des Art 3 Abs 1 Richtlinie 2001/29/EG fallen würde, nach den subjektiven Tatbestandsmerkmalen beim Bereitstellenden der maßgeblichen Einrichtung noch unklar sei, weshalb der EuGH hierzu Klarheit schaffen solle. Aufgrund der Situation, dass dem Nutzer Zugriff nicht nur auf Sendungsinhalte vermittelt würde, deren Online-Nutzung die jeweiligen Rechtsinhaber zugestimmt hätten, sondern auch auf solche geschützten Inhalte, bei denen eine entsprechende Rechteklärung unterblieben ist, und der Anbieter
a) Einfluss darauf nehmen kann, welche TV-Programme empfangen werden können,
b) weiß, dass sein Dienst auch den Empfang von geschützten Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber ermöglicht, allerdings
c) nicht mit dieser Möglichkeit wirbt, sondern vielmehr seine Kunden bei Vertragsabschluss hinweist, dass sie sich eigenverantwortlich um die Rechteeinräumung kümmern müssen, und
d) durch seine Tätigkeit keinen speziellen Zugang zu Sendungsinhalten schafft, die ohne sein Zutun nicht oder nur schwer empfangen werden könnten,
wollte der OGH wissen, ob dadurch eine öffentliche Wiedergabe vom Anbieter der IPTV-Komplettlösung vorgenommen wird.
Der OGH geht in seiner Entscheidung in Anlehnung an die Entscheidung des EuGH (C-527/15, Stichting Brein I - Filmspeler) davon aus, dass der Betreiber einer IPTV-Komplettlösung kein Produkt anbietet, das auf den Eingriff in Werknutzungsrechte ausgerichtet sei, weshalb sE eine „zentrale Rolle“ bei der Übertragung zu verneinen wäre. Er ortet jedoch genau darin eine Rechtsansicht, die klärungsbedürftig sei.
Für den OGH stellten sich in diesem Verfahren neben der Frage zur Auslegung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe noch Fragen zum bereitgestellten Online-Videorecorder und dem angewandten De-Duplizierungsverfahren sowie einer Replay-Funktion, wodurch zwar prinzipiell der Sendungsinhalt für den aufzeichnenden Nutzer in einer eigenen Datei (Single-Copy) abgelegt wird, jedoch bei übereinstimmender Programmierung von Aufzeichnungen für mehrere Kunden nicht mehrere Kopien der Inhalte erstellt werden.
Der OGH geht in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre davon aus, dass ausgehend von einer funktionalen Betrachtung Betreibern von Online-Videorecordern, die im Rahmen ihres Geschäftsmodells den technischen Vorgang der Vervielfältigung in einer Intensität betreiben, dass sie letztlich in der praktischen Auswirkung eine solche Menge an Sendeinhalten vorhalten, dass sie sich dem Angebot einer Online-Mediathek bzw eines Streaming-Portals zumindest annähern, nicht zugebilligt werden darf, sich auf die Privilegierung des Privatgebrauchs zu berufen. Auf die bloß formale Frage, wer den Kopiervorgang initiiert, könne es nicht ankommen, nicht zuletzt weil das Umgehungsmöglichkeiten durch vertragliche Gestaltung eröffnen würde. Außerdem würde sich der Anbieter nicht auf die Organisation von Vervielfältigungen beschränken, sondern Zugang zu Sendungsinhalten ohne Zustimmung der Rechteinhaber vermitteln, weshalb die Anwendung der Privatkopieausnahme schon am Vorliegen einer öffentlichen Wiedergabe scheitern würde.
Der OGH zur Streamingplattform (4 Ob 44/21f)
Als Ergänzung zur zweiten Vorlagefrage der vom OGH in diesem Verfahren an den EuGH gestellten Anfrage hat der OGH am 22. Juni 2021 (GZ 4 Ob 44/21 f) Vorlagefragen zu Begriff und Anwendungsbereich der öffentlichen Wiedergabe nach Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG bei einer Streamingplattform gestellt.
Und zwar ging es darum, dass der Betreiber der Streamingplattform,
Fraglich waren für den OGH daher auch in diesem Verfahren die Kriterien für die „zentrale Rolle“ bei der Übertragung.
Der OGH wiederholt dazu, dass der EuGH (vgl zB C-527/15, Stichting Brein I – Filmspeler; C-610/15, Stichting Brein II – Ziggo) davon ausging, dass eine „zentrale Rolle“ bei der Übertragung einnimmt, wer in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird; für diese Beurteilung jedoch eine Gesamtbetrachtung von den Umständen des Einzelfalls vorzunehmen sei. Daraus resümiert der OGH noch einen Klarstellungsbedarf dahin, welche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale vorliegen müssen. Insbesondere würde unklar sein, ob die „zentrale Rolle“ ein zielgerichtetes Tätigwerden verlangt, oder schon das wissentliche Erleichtern der rechtswidrigen Handlungen im Sinne der Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Oe (C-682/18 und C-683/19) für den Vorwurf einer öffentlichen Wiedergabe genügen würde.
Eine weitere Vorlagefrage im Verfahren 4 Ob 44/21f wurde zum Territorialitätsprinzip gestellt. So möchte der OGH abgeklärt wissen, ob das angerufene nationale Gericht auch über Tathandlungen absprechen muss, die außerhalb des Hoheitsgebiets begangen wurden. So würde die bisherige Judikatur des EuGH, wonach das nationale Gericht nur über den Schaden, der in dessen Hoheitsgebiet verursacht wurde, absprechen könne, dazu führen, dass ein Urheber nur einen auf Österreich beschränkten Unterlassungsanspruch geltend machen könne, die Verletzungshandlung daher in Österreich begangen worden sein muss oder sich in Österreich auswirken müsse.
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