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Kontrahierungszwang für marktbeherrschende Unternehmer bei Produktinnovation17.04.2022

Das KOG hat entschieden, dass ein marktbeherrschender Unternehmer den Vertrieb eines neuen digitalen Produkts ermöglichen muss, indem er dem Anbieter des Produkts beschränkten Zugang zu seinem Webshop gewährt.

 

KOG-Entscheidung vom 12.10.2021 – 16 Ok 1/21i – ASFINAG

Der gegenständlichen Entscheidung des KOG (OGH als Rekursgericht in Kartellrechtssachen) vom 12.10.2021, 16 Ok 1/21i – ASFINAG, war ein UWG-Verfahren vorausgegangen, in welchem einem deutschen Unternehmen auf Antrag der ASFINAG wegen Verstoßes gegen §§ 1 und 2 UWG untersagt worden war, auf seiner Website sofort gültige, digitale Autobahn-Vignetten für Österreich anzubieten, ohne den Verbrauchern das Widerrufsrecht nach dem FAGG zu gewähren und/oder diese durch unrichtige Informationen dazu zu bewegen, die Mautprodukte zu höheren Preisen als im ASFINAG Webshop zu erwerben (OGH 19.12.2019, 4 Ob 96/19z – Digitale Vignette ‑ ASFINAG AG). Das deutsche Unternehmen hatte damit geworben, dass anders als in Österreich, wo von der ASFINAG wegen des gesetzlichen Rücktrittsrechts der Verbraucher nach dem FAGG eine Wartezeit von 18 Tagen nach dem Kauf bis zur Gültigkeit der Vignette vorgesehen sei, man als Anbieter mit Sitz in Deutschland aufgrund einer unterschiedlichen Rechtslage die Vignette mit sofortiger Gültigkeit ausstellen könne. De facto hatte das Unternehmen die Vignetten im ASFINAG-Webshop gekauft und dort für die einzelnen Kunden jeweils angegeben „Ich bin Unternehmer“, wodurch das Rücktrittsrecht entfiel. Rücktrittserklärungen von Verbrauchern (innerhalb der 14-tägigen Frist nach dem FAGG) wurden entsprechend zurückgewiesen. Die Vignetten wurde zu einem deutlich erhöhten „Pauschalpreis“ verkauft (zB um EUR 98,20 statt um regulär EUR 89,20 für die Jahresvignette).

Einige Zeit nach der OGH-Entscheidung stellte das deutsche Unternehmen beim Kartellgericht den (Sicherungs-) Antrag, der ASFINAG den Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung (vgl §§ 4 ff KartG) zu untersagen, welcher darin bestünde, ihr den Zugang zum ASFINAG-Webshop zu verwehren. Sie könne ihre neuen Produkte, nämlich digitale Mautprodukte mit einem Gültigkeitsbeginn von weniger als 18 Tagen ab Kauf, ohne diesen Zugang nicht anbieten, obwohl sie nun nach einem „geänderten Geschäftsmodell“ digitale Mautprodukte der ASFINAG nur an Kunden mit Sitz außerhalb Österreichs und nur für Fahrzeuge mit nicht österreichischen Kennzeichen anbieten werde. Darüber hinaus werde sie die Verbraucher auch ordnungsgemäß über das gesetzliche Widerrufsrecht informieren und dieses gewähren; überdies werde man die Verbraucher auch über die höheren Preise gegenüber dem ASFINAG-Webshop informieren. Die Zugangssperre sei völlig überschießend und unverhältnismäßig. Die angebotenen (beabsichtigten) Dienstleistungen seien neu und brächten Effizienzvorteile für die Kunden. Bei sämtlichen von der ASFINAG angebotenen Vertriebsformen sei es nämlich für den Bezug einer sofort gültigen digitalen Vignette erforderlich, dass der Verbraucher physisch einen Vertriebspartner der ASFINAG oder einen Automaten aufsuche; somit sei ein Online-Bezug von sofort gültigen digitalen Mautprodukten (mit Ausnahme von Einzelfahrten) nicht möglich. Die Kunden der ASFINAG seien nicht in Österreich ansässig und wollten unkompliziert und schnell sofort gültige Mautprodukte, meist zur sofortigen Benützung, beziehen.

In ihrer rechtlichen Argumentation brachte die Antragstellerin vor, dass die ASFINAG als marktbeherrschendes Unternehmen, das über unerlässliche Vorleistungen auf dem vorgelagerten Markt verfüge, einem Kontrahierungszwang unterliege. Sie dürfe eine Geschäftsbeziehung mit der Antragstellerin, dh den Zugang zu ihrem Webshop, nur bei Vorliegen einer objektiven wirtschaftlichen oder sachlichen Rechtfertigung verweigern; eine solche fehle. Auch die Voraussetzungen für die Anwendung der essential-facilities-Doktrin seien hier erfüllt, weil für den Online-Bezug von digitalen Mautprodukten kein tatsächlicher oder potentieller Ersatz für einen Bezug über den Webshop der Antragsgegnerin bestehe und ein neuartiges Produkt (sofort gültige, online beziehbare digitale Mautprodukte für Verbraucher) vorliege, das derzeit von keinem anderen Marktteilnehmer angeboten werde.

Die ASFINAG wendete dagegen ein, die angeblichen Leistungen der Antragstellerin hätten keinen Mehrwert für die Kunden und es bestehe auch kein Bedarf für das „Service“ der Antragstellerin. Letzteres bestehe darin, dass sie die Kennzeichendaten ihrer Kunden in das System der Antragsgegnerin eingebe, den entsprechenden Mautbetrag bezahle und dafür von ihren Kunden einen substanziellen, nicht gerechtfertigten Aufschlag verlange. Die ASFINAG habe dadurch zwar keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Nachteil, weil ja die Maut voll entrichtet werde; mittelbar müsse sie aber über ihr Kundenservice erzürnte Kunden der Antragstellerin betreuen, die sich über die Mehrkosten bzw über andere Unzulänglichkeiten der Leistungen der Antragstellerin beschwerten.

Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung liege nicht vor. Ein Kontrahierungszwang bestehe nicht, zumal Geschäfts- und Lieferverweigerungen auch für marktbeherrschende Unternehmen nur unter bestimmten engen Voraussetzungen missbräuchlich seien. Die ASFINAG kontrahiere hinsichtlich des Zugangs zu ihrem Webshop nicht mit Dritten, die über eigene Webshops digitale Mautprodukte vertreiben wollten; dafür bestehe schlicht kein Bedarf. Die essential-facilities-Doktrin sei hier schon deshalb nicht anwendbar, weil kein neuartiges Produkt und keine eigene Dienstleistung der Antragstellerin vorliege, für dessen/deren Vertrieb der Zugang zur Infrastruktur der ASFINAG erforderlich wäre. Sofort gültige digitale Mautprodukte könnten von den Verbrauchern bereits jetzt bei den Vertriebspartnern der ASFINAG bezogen werden, von Unternehmern auch online im Webshop der Antragsgegnerin.

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag des deutschen Unternehmens statt. Das KOG bestätigte diese Entscheidung (im Wesentlichen) und führte zusammengefasst Folgendes aus:

Angesichts der gesetzlichen Stellung der Antragsgegnerin als einzige Mautgläubigerin ist ihre marktbeherrschende Stellung evident, unabhängig davon, wie weit oder eng man den konkret betroffenen Markt abgrenzt. In Lehre und Rechtsprechung ist unstrittig, dass sowohl für Monopolisten außerhalb des Kartellrechts als auch für marktbeherrschende Unternehmen kein Zwang besteht, jeden von einem Dritten gewünschten Vertrag abzuschließen; diese können vielmehr aus sachlich gerechtfertigten Gründen einen Vertragsabschluss ablehnen. Auch einem marktbeherrschenden Unternehmen steht es grundsätzlich frei zu entscheiden, mit wem und auf welcher Grundlage kontrahiert wird, welche „Vertriebswege“ gewählt und welche Preise für die eigenen Produkte bzw Dienstleistungen berechnet werden. Missbräuchliches Unterlassen, insbesondere in Form einer Lieferverweigerung, wird jedoch dann angenommen, wenn das Verhalten eines solchen Unternehmens durch keine objektiven Gründe gerechtfertigt wird. Ein Kontrahierungszwang trifft vor allem Inhaber gesetzlicher oder faktischer Monopole sowie Unternehmen mit beherrschender Verfügungsmacht über Einrichtungen, die für die Geschäftstätigkeit anderer Teilnehmer notwendig sind. Den Inhaber einer Monopolstellung trifft eine Kontrahierungspflicht, wenn ihm ein Vertragsabschluss zumutbar ist. Er kann diesen daher nur aus einem sachlichen Grund ablehnen.

Da die Antragstellerin in ihrem Webshop auch ein neues Produkt anbieten will, nämlich den online-Vertrieb „sofort“ – dh innerhalb von weniger als 18 Tagen ab Kaufdatum – gültiger digitaler Maut-Vignetten an Verbraucher, liegt auf der Hand, dass für das Anbieten dieses neuen Produkts der Online-Bezug digitaler Mautprodukte zwingend erforderlich ist. Ein solcher ist allerdings ausschließlich über den Webshop der ASFINAG technisch möglich. Dem Einwand, es bestehe kein Markt für die Leistungen der Antragstellerin und auch kein Bedarf daran, ist zu entgegnen, dass grundsätzlich, aber auch gerade in Zeiten einer Pandemie, ein Bedürfnis von Verbrauchern bestehen kann, eine sofort gültige digitale Vignette online zu erwerben. Es trifft zwar zu, dass Verbraucher auch jetzt schon die Möglichkeit haben, sofort gültige digitale Vignetten online über den Webshop der ASFINAG – und damit ohne den von der Antragstellerin verrechneten Aufschlag – zu beziehen, wenn sie (unrichtig) angeben, Unternehmer zu sein (und damit im Ergebnis auf ihr Rücktrittsrecht nach dem FAGG verzichten). Dass sich ein Verbraucher eine gewünschte Leistung nur durch falsche Angaben erschleichen kann, ist allerdings keine von der Rechtsordnung zu duldende Vorgangsweise und kann daher dem Geschäftsmodell der Antragstellerin nicht entgegengehalten werden.

Soweit die Anwendbarkeit des KartG auf den vorliegenden Sachverhalt unter Verweis auf § 24 Abs 2 KartG bestritten wird, weil sich die Lieferverweigerung gegenüber der Antragstellerin nicht auf den inländischen Markt auswirke, weil diese inländischen Kunden bewusst von ihrem Angebot ausnehme, ist auf die Entscheidung 16 Ok 3/08 zu verweisen. Demnach wirkt sich eine Wettbewerbsbeschränkung mit Auslandsbezug dann im Inland aus, wenn der Tatbestand der jeweiligen Sachnorm in Bezug auf den Inlandsmarkt verwirklicht ist, was hier der Fall ist, weil ein inländischer Monopolist einem deutschen Unternehmer die Aufnahme einer Geschäftsbeziehung zum Bezug eines (zur Durchführung dessen eigenen Geschäftsmodells zwingend erforderlichen) Vorprodukts verweigert, das allein im Inland verwertet werden kann und mit den vom inländischen Monopolisten angebotenen Produkten (digitale Mautprodukte für Verbraucher) in Wettbewerb steht. Im Ergebnis erweist sich der Abstellungsantrag daher insofern als berechtigt, als er auf die Gewährung des Zugangs zum Webshop der ASFINAG zum Zweck der Ermöglichung des neuen Produkts der Antragstellerin (also der Weiterveräußerung von „sofort“ gültigen digitalen Mautprodukten an Verbraucher) abzielt.

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