[EDITORIAL] von Rainer Beetz
"Holprig – vom Anfang bis zum Start"
Man glaubt es kaum – kurz nach dem Erscheinen dieser Ausgabe wird das Einheitliche Patentgericht (UPC) tatsächlich seine Tätigkeit aufnehmen. Der Weg dorthin war ein holpriger, derart holprig, dass es zwischendurch nicht mehr danach aussah, als würde ein einheitliches Streitsystem jemals Realität werden. Der Weg war auch ein langer: Nicht weniger als 50 (!) Jahre sind seit der Münchner Konferenz vergangen, auf der nicht nur die Schaffung eines zentralisierten Erteilungssystems (EPÜ), sondern auch eines einheitlichen Rechtsdurchsetzungssystems angestrebt wurde. Nach mehreren im Ansatz gescheiterten Versuchen legte die EK im Jahr 2009 mit dem Unified Patent Litigation System (UPLS) einen neuen Entwurf vor. Diesem Entwurf erteilte allerdings der EuGH[1] eine Absage, da aufgrund der Beteiligung von Nicht-EU-MS ein außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union stehendes internationales Gericht geschaffen worden wäre. Diese Wegsperre wurde durch den Ausschluss von EU-Drittstaaten und einer Umfahrung über eine Gerichtskonstruktion iSd Benelux-Gerichtshofs überwunden – aus dem UPLS wurde der UPC. Es folgten noch kleinere und größere Stolpersteine in Form von EuGH-Klagen von Spanien[2], des Brexits und deutscher Verfassungsklagen[3] , die zwar zu erheblichen Verzögerungen auf der Wegstrecke führten, – zumindest bis dato – aber allesamt bewältigt wurden.
Der Brexit wirkt allerdings immer noch nach, ist doch mit der ausdrücklichen Nennung von London im EPGÜ als Sitz einer Zentralkammer auch eine Zeitbombe eingebaut, hinsichtlich welcher sich die Geister scheiden, wie sie sich entschärfen lässt. Nach vorherrschender Ansicht ist für eine Entschärfung nicht viel zu tun, da das EPGÜ nur derart ausgelegt werden kann, dass keine Zentralkammer in einem Nicht-EPGÜ-Vertragsstaat errichtet wird. Bei Fortfall der Londoner Zentralkammer würde deren Zuständigkeit daher zumindest übergangsweise den weiteren Zentralkammern in Paris und München anwachsen.[4] Eine ausdrückliche Regelung könne zu gegebener Zeit vorgenommen werden; Art 87 Abs 2 EPGÜ lässt Änderungen des EPGÜ durch den Verwaltungsausschuss zu, um es mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen.
In Anbetracht dieser Vielzahl an Problemen ist es überaus überraschend, dass (offensichtlich) keine Gelegenheit ausgelassen wird, um weitere Probleme zu generieren: Italien ist mit Mailand als weiterem Sitz der Zentralkammer mittlerweile der einzige Kandidat für die aus London frei gewordenen Zuständigkeiten. Man könnte glauben, die Vertragsstaaten würden in Anbetracht der nicht alle überzeugenden Auslegung bezüglich des Anwachsens der Zuständigkeiten bei den verbleibenden Zentralkammern demütig das Angebot Italiens annehmen; der Verwaltungsausschuss könnte dann – ohne viel Aufheben – das EPGÜ zur Herstellung von Unionsrechtskonformität dahingehend abändern, dass Mailand anstelle von London tritt. Wer dies geglaubt hat, hat die Rechnung (naiverweise) ohne deutsche und französische diplomatische Interessenvertretungen gemacht: Da der UPC nicht schon Probleme genug hat, wird nun eine neue Baustelle eröffnet. Die in Anh II EPGÜ vertraglich vereinbarte Zuständigkeitsverteilung soll – nach Ansicht von Deutschland und Frankreich – bei der nötigen Verlagerung der Abteilung aus London ebenfalls neu verhandelt werden. München würde gerne dauerhaft um die Metallurgie, Paris um SPCs anwachsen.[5] Auf welcher Basis eine solche Vertragsänderung zulässig sein soll, ist allerdings offen – deutsche und französische Verhandlungsmacht ist wohl keine überzeugende Begründung für die erforderliche Unionsrechtskonformität.
Abgesehen von dieser Vielzahl von extrinsischen Problemen hat sich der UPC mit der Wahl des Softwareanbieters für die Erstellung des Case Management Systems (CMS) leider auch ein erhebliches intrinsisches Problem geschaffen. Dass der bereits bekanntgegebene Starttermin bei einem Projekt mit 14 Jahren (!) Vorlaufzeit aufgrund von Problemen mit dem CMS um zwei Monate nach hinten verschoben werden musste, ist eigentlich schon eine Bankrotterklärung. Sofern man (mit tatkräftiger Unterstützung von IT-Fachkräften) einmal Zugang zum CMS erlangt hat, fragt man sich, welche Kriterien in der Ausschreibung für das CMS und im Pflichtenheft für die Umsetzung vorgesehen waren. Exemplarisch für die Benutzerfeindlichkeit des CMS ist bereits die Art und Weise, wie Opt-out-Anträge zu stellen sind. Im 21. Jahrhundert hätte man sich eine einfache Eingabemaske für die relevante Patentnummer erwartet, mit einer nebengeordneten Checkbox, mit welcher man bestätigt, dass das Patent – wie Regel 5 Verfahrensordnung vorgibt – für alle erteilten Staaten hinausoptiert werden soll. Mitnichten – anstelle davon wird ein dilettantisch anmutendes Word-Dokument zur Verfügung gestellt, in welchem angemerkt ist, dass die Eintragungen für jeden EPÜ-Vertragsstaat zu wiederholen sind, für welchen das Patent erteilt wurde. Nachdem sich wohl viele Nutzer beim UPC erkundigt haben, ob ernsthaft die Felder jeweils 38-mal ausgefüllt werden müssen, erklärte der Kanzler des UPC sodann, dass in dem Feld für die Länderkürzel (also doch nur einmal?) alle EPÜ-Staaten anzuführen sind, in welchen das Patent aufrecht ist (aufrecht oder erteilt?). Da die Erläuterungen des Kanzlers offensichtlich weitere Fragen aufgeworfen haben, erklärte der Kanzler sodann, dass ohnedies alle Anforderungen an ein Opt-out in Regel 5 zu finden seien, er keine rechtliche Beratung abgeben könne und jeder ASt selbst verantwortlich sei. Am gleichen Tag ist das CMS dann noch für vier Tage für Wartungsarbeiten offline gegangen ... Dass das CMS den Nutzern nach dem Start einen reibungslosen Zugang zum Gericht ermöglichen wird, erscheint mehr als unwahrscheinlich – es dürfte holprig bleiben.
[1] EuGH 8. 3. 2011, G-1/09.
[2] EuGH 5. 5. 2015, C-146/13; EuGH 5. 5. 2015, C-147/13.
[3] Dt BVerfG 13. 2. 2020, 2 BvR 739/17; dt BVerfG 23. 6. 2021, 2 BvR 2216/20.
[4][4] Referentenentwurf dt BMJV v 10. 6. 2020 zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. 2. 2013 über ein Einheitliches Patentgericht.
[5] www.ilsole24ore.com/art/tribunale-brevetti-milano-l-attacco-francia-egermania-AEWXdUsC.
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