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Editorial und Inhalt

ÖBl [2023] 4 Seiten 141 - 184

[EDITORIAL] von Christian Schumacher
"Ein Plädoyer fürs Verhandeln"


Inhalt [.pdf]

Ein Plädoyer fürs Verhandeln

Gerade in unserem – zu komplexeren Verfahren neigenden – Rechtsbereich sind die an den Zivilprozessen und Verfahren vor der Nichtigkeitsabteilung des ÖPA-Beteiligten und insb die Rechtsvertreter daran gewohnt, alle Argumente auf tatsächlicher und rechtlicher Ebene schriftlich darzulegen. Dabei könnte man aus den Augen verlieren, dass die österr Zivilprozessordnung die Mündlichkeit im Verfahren besonders stark in den Vordergrund stellt. Die Idee scheint klar: Der Prozessstandpunkt sei in Klage und Klagebeantwortung sowie vorbereitenden Schriftsätzen festzulegen – dann kann in einer auf mehrere Tagsatzungen aufgeteilten mündlichen Verhandlung das Ziel verfolgt werden, am Ende eine im Einzelfall möglichst richtige Entscheidung zu treffen.

Zur erwähnten Verschriftlichung des Verfahrens in der täglichen Praxis trägt in diesem Rechtsbereich sicher stark bei, dass viele wesentliche Entscheidungen eigentlich bereits im Provisorialverfahren getroffen werden. Da es schwer ist, eine rasche Entscheidung mit der Durchführung einer kontradiktorischen Verhandlung zu vereinbaren, kamen solche in der Vergangenheit sehr selten vor und in der Praxis erfolgte somit das Provisorialverfahren bis zum HöchstG meist ausschließlich auf Basis von Schriftsätzen. Heute ist allerdings vermehrt eine Entwicklung zu sehen, dass in erster Instanz auch in Provisorialverfahren mündliche Verhandlungen anberaumt werden – das ist auch insofern zu begrüßen, weil die früher vermehrt praktizierte Vernehmung von Auskunftspersonen sozusagen im stillen Kämmerchen heute wohl stärkere Bedenken im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz des fair trial aufwirft. Die nach Art 50 TRIPS gebotene Anordnung unverzüglicher und wirksamer einstweiliger Maßnahmen darf dadurch aber nicht beeinträchtigt werden.

Was ich mit dieser Einführung sagen will: Mein Eindruck ist, dass die Wichtigkeit der mündlichen Verhandlung in der Praxis im gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht stark in den Hintergrund geraten ist. Ich will nun hier eine Lanze dafür brechen, in Zukunft die mündliche Verhandlung – in allen Instanzen – wieder stärker in den Vordergrund zu stellen. Dies aber nicht ohne den Schriftlichkeitsaspekt zurückzudrängen, weil bei der Komplexität der Sachverhalte und Rechtsfragen die schriftliche Ausarbeitung besondere Bedeutung hat. Ziel der ganzen Übung muss es sein, die Entscheidungen in jeder Instanz so begründen zu können, dass beide Parteien sich darin insofern wiederfinden können, als daraus deutlich hervorgeht, dass all ihre wesentlichen Argumente berücksichtigt und verstanden wurden. Das ist auch der effizienteste Weg, Rechtsmittel auf jene Fälle zu beschränken, wo in erster Instanz bereits konkret definierte Fragen so strittig sind, dass sie noch einer weiteren Klärung im Instanzenzug bedürfen.

Was kann helfen, dieses Ziel zu erreichen? Ich denke, dass der mündlichen Verhandlung in erster Instanz ausreichend Zeit eingeräumt werden sollte, damit neben der notwendigen Aufarbeitung des Sachverhalts auch eine umfassende Erörterung der Rechtsfragen erfolgen kann – nicht zuletzt grenzt sich der zu klärende Sachverhalt durch die möglichen rechtlichen Argumentationslinien ab, die ja in unserem Bereich sehr komplex sein können. Dies auch aufgrund der zahlreichen unbestimmten Gesetzesbegriffe und der oft notwendigen Beurteilung der Verkehrsauffassung, welche ihre Grundlage zwar im Tatsächlichen hat, soweit die Beurteilung über Erfahrungssätze aus der Lebenserfahrung möglich ist, aber im Instanzenzug als Rechtsfrage revisibel bleibt und bleiben soll. Soll die Rsp mit Leben erfüllt werden, wonach es den Parteien freisteht, auf Tatsachenebene Erfahrungssätze zu behaupten und unter Beweis zu stellen oder den Beweis der Unrichtigkeit der vom Gericht zugrunde gelegten Erfahrungssätze anzutreten, wird man nicht an einer Erörterung in der mündlichen Verhandlung vorbeikommen, welche Erfahrungssätze das Gericht beabsichtigt, der Entscheidung zugrunde zu legen. Auch wird oft erst die Erörterung der möglichen Aspekte der Rechtsfragen in der mündlichen Verhandlung die Parteien wirklich in die Lage versetzen, die Vollständigkeit und Treffsicherheit ihres Vorbringens und ihrer Beweisangebote zu überprüfen.

Ich halte es darüber hinaus für sehr wichtig, in den Rechtsmittelverfahren in 2. Instanz, wo dies möglich ist (Berufungsverfahren sowie Rekurs gegen E des ÖPA nach dem AußStrG), die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung wieder stärker in Betracht zu ziehen. Es mag sein, dass früher Berufungsverhandlungen zur bloßen mündlichen Wiedergabe der Rechtsmittelschriftsätze missbraucht wurden; es wäre darauf zu drängen, dass sich mündliche Vorträge auf die noch offenen Aspekte beschränken. Auch hier wäre als Hauptzweck sicherzustellen, dass die wesentlichen Argumente der Parteien durch einen kurzen Vortrag der Parteienvertreter beim gesamten Berufungssenat „ankommen“; darüber hinaus böte die Berufungsverhandlung dem Berufungssenat Gelegenheit zur Erörterung von in den Schriftsätzen (etwa auch im Hinblick auf Argumentation in der Rechtsmittelbeantwortung) nicht ausreichend behandelten Aspekten – dazu wäre auch anzudenken, bereits in der Ladung auf aufklärungswürdige Aspekte hinzuweisen. Eine solche Berufungsverhandlung moderner Art sollte wiederum helfen, dass die Aspekte, die einer Partei wichtig sind, ausreichend in die Entscheidungsbegründung einfließen; dies sollte dann auch helfen, weitere Rechtsmittel an den OGH auf jene zu beschränken, wo wesentliche Rechtsfragen bereits identifiziert und aufbereitet wurden. Auch in dritter Instanz wäre es möglich, so wie in anderen Ländern mit vergleichbaren Rechtssystemen (etwa in Deutschland) Standard, mündlich zu verhandeln.

Mir ist schon klar, dass eine Stärkung der Bedeutung mündlicher Verhandlungen die bereits sehr angespannte zeitliche und personelle Situation in den Gerichten noch stärker in Anspruch nehmen würde und damit, jedenfalls bei umfassenderer Umsetzung, einher mit zusätzlichen Ressourcen gehen müsste. Im besten Fall würden aber Rechtsmittel und zusätzliche Verfahrensgänge dadurch vermieden werden.

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