Die 1930 gegründete Internationale LIGA für Wettbewerbsrecht (LIDC, www.ligue.org) befasst sich mit Fragen des Wettbewerbsrechts (im Sinne von Unfair Competition), des Kartellrechts und des IP-Rechts. Die jährliche internationale Tagung fand diesmal von 21. bis 24. September 2023 in Göteborg (Schweden) statt. Auch die österreichische Landesgruppe war mit einigen Teilnehmern vertreten.
Die LIGA besteht derzeit aus 17 nationalen Verbänden, wobei vor kurzem die iberische und die rumänische Landesgruppe neu aufgenommen wurden und zudem ein polnisches „Chapter“ gegründet wurde. Weiters wurden im vergangenen Jahr die Website und generell die Kommunikation auf eine neue Basis gestellt. Neben der speziellen Gruppe der „NexGen“ für jüngere Mitglieder gibt es Arbeitsgruppen für unlauteren Wettbewerb, Datenrecht und digitale Wirtschaft, Vertrieb, Franchising und E-Commerce sowie staatliche Beihilfen. Im Laufe jeden Jahres werden vier bis sechs Webinare abgehalten.
Die nationalen Berichte und die internationalen Berichte zu den Jahreskongressen werden meist innerhalb eines Jahres im Rahmen der Buchserie „LIDC Contributions on Antitrust Law, Intellectual Property and Unfair Competition“ im Springer International Publishing Verlag herausgegeben. Jeder Teilnehmer eines Jahreskongresses erhält einen entsprechenden Band. Die nationalen Verbände erhalten weitere Bücher zur Weiterleitung an interessierte bzw staatliche Stellen und Bibliotheken. Bei der diesjährigen Generalversammlung wurde nach vorheriger Zustimmung des Councils die Satzung modernisiert und die Funktionsdauer der Mitglieder des Büros einheitlich mit drei Jahren festgelegt.
Der LIGA-Kongress 2023
Der von der örtlichen, schwedischen Gruppe bestens organisierte Kongress der LIGA (Ligue International du droit de la concurrence, LIDC) wurde von circa 110 Teilnehmern besucht. Bereits am Begrüßungsabend hatten die Anwesenden im Rahmen eines Willkommens-Cocktails im Hotel Scandic Gelegenheit zu einem ersten Gedankenaustausch. Die jüngeren „NexGen“-Teilnehmer nutzten darüber hinaus die Möglichkeit eines Opening-Drinks in einer renommierten Göteborger Anwaltskanzlei und eines Clubbings.
Die beiden anschließenden Kongresstage waren mit einem dichten Programm an hochkarätig besetzten Panels und Working Groups gefüllt. Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch LIGA-Präsident Christophe Rapin (Schweiz) und einleitenden Kurzreferaten führender schwedischer Wettbewerbsjuristen wurde die Tagung mit einem Vortrag der Leiterin der Generaldirektion Wettbewerb (der EU-Kommission) Annemarie ter Heegde über die Leitlinien der Kommission zu den neu veröffentlichten Gruppenfreistellungsverordnungen für Spezialisierungsvereinbarungen und Vereinbarungen im Bereich Forschung und Entwicklung eröffnet. Die Kommission hat im Juni 2023 begleitend zu diesen Gruppenfreistellungsverordnungen aktualisierte Leitlinien herausgegeben. Diese „Horizontalleitlinien“ sind von zentraler Bedeutung für die kartellrechtliche Beurteilung der Frage, ob spezifische Vereinbarungen über die Zusammenarbeit von (potenziellen) Wettbewerbern mit den Wettbewerbsvorschriften der EU im Einklang stehen. Dieser Reform ging ein umfassender Evaluierungs- und Konsultationsprozess voraus, in dessen Rahmen die Erfahrungen mit den Vorgängerbestimmungen und die aktuellen Entwicklungen im relevanten Marktumfeld berücksichtigt wurden. Die neuen „Horizontalleitlinien“ enthalten auch ein gänzlich neues Kapitel zu Nachhaltigkeitsvereinbarungen. Damit hat die Kommission einen wichtigen Schritt in Richtung mehr Rechtssicherheit für die Unternehmen bei der Beurteilung von solchen Vereinbarungen gemacht.
Danach folgte eine Panel-Diskussion zum Thema „Greenwashing“ in der Werbung. Hier wurde in zwei Vorträgen die Entwicklung umweltbezogener Ankündigungen in Schweden und Frankreich anhand zahlreicher Beispiele dargestellt. Dabei zeigte sich, dass sich die Judikatur schon seit Jahrzehnten in diesen Ländern mit diesem Thema beschäftigt und dabei eine durchaus strenge Linie zu solchen Versuchen entwickelt hat, Umweltaspekte in irreführender Weise in die Werbung einzubauen. Besonders in Frankreich gibt es allerdings auch Tendenzen, auch mit Werbeverboten überhaupt die Möglichkeit einzuschränken, mit grünen Aspekten beispielsweise in bestimmten Branchen wie dem Öl- und Fahrzeugbereich zu werben.
Der nächste Vortrag war der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Nachfragemacht gewidmet. Ignacio Herrera Anchustegui, Professor an der University Bergen, stellte diverse (ökonomische) "Spieltheorien" zur Bestimmung von Marktmacht auf der Nachfrageseite vor. Weiters wurde in Bezug auf Frage A (siehe dazu unten) der Versuch unternommen, Einkaufskooperationen von Einkaufskartellen abzugrenzen. Es sei nicht einfach, eine klare Linie zwischen kartellrechtlich zulässigen Kooperationen und unzulässigen Kartellen zu ziehen. Einkaufskooperationen würden primär darauf abzielen, niedrigere Einkaufspreise zu erzielen, währenddessen Einkaufskartelle darüber hinaus auch auf eine Abstimmung der nachgelagerten Verkaufsmärkte ausgerichtet seien.
Insgesamt wurde deutlich, dass sich nationale Wettbewerbsbehörden bisher nicht bzw nur in sehr eingeschränktem Umfang mit dieser Frage auseinandergesetzt hätten. Die meisten Staaten bzw Wettbewerbsbehörden würden dabei versuchen, die Trennlinie zwischen Einkaufskooperationen und Einkaufskartellen nach dem Kriterium der "Offenlegung gegenüber dem Vertragspartner" zu beurteilen.
Die anschließende Panel-Diskussion war verschiedenen aktuellen Fragen des IP-Rechts gewidmet, die vor allem für „in-house-counsel“ (Juristen in Unternehmen) von praktischer Bedeutung sind. Einen Schwerpunkt dabei bildete der urheberrechtliche Schutz für angewandte Kunst und wurden hier etwa Fragen der Originalität, der Relevanz des verfügbaren Gestaltungsspielraums und der technischen Bedingtheit erörtert. Eine Analyse der bisherigen Rechtsprechung auf diesem Gebiet rundete diesen Teil der Veranstaltung ab.
Im Rahmen des Gala Dinners am Freitagabend wurde den Teilnehmern nicht nur hervorragende kulinarische, sondern auch juristische Kost geboten. Rainer Becker, Leiter des EU-Referats Europäisches Wettbewerbsnetz und private Rechtsdurchsetzung, unternahm mit den Teilnehmern eine spannende Reise zu den Anfängen des Kartellschadenersatzrechts. Diese Reise begann Anfang der 2000er in Italien, als Vincenzo Manfredi Schadenersatz von einer italienischen Versicherung verlangte, welcher ihm aufgrund überhöhter Prämien in Folge eines Kartells zwischen Versicherungsgesellschaften entstanden sei. Der EuGH hielt hier im Jahr 2006 in einer Grundsatzentscheidung fest, dass jedermann Ersatz des ihm entstandenen Schadens verlangen kann, wenn zwischen dem Schaden und einem verbotenen Kartell oder Verhalten ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Seit dieser Grundsatzentscheidung kam es zu zahlreichen Entwicklungen im Bereich des Kartellschadenersatzrechts, wobei die Schadenersatz-RL aus 2013/2014 als "Highlight" hervorgehoben wurde. Damit wurde in der EU der Versuch unternommen, die Durchsetzung von Kartellschadenersatzansprüchen zu verbessern und zu vereinheitlichen. Die Entwicklungen seien aber noch nicht abgeschlossen und bestünden etwa weiterhin große Herausforderungen bei der Feststellung kartellbedingter Preisaufschläge.
Am nächsten Tag wurden die beiden, dem Kongress zugrunde gelegten Themenfragen erörtert, zu denen jeweils bereits im Vorfeld nationale Berichte erstattet worden waren.
Frage A betraf die Abgrenzung zwischen (kartellrechtlich zulässigen) Einkaufskooperationen und (kartellrechtlich unzulässigen) Einkaufskartellen (siehe dazu bereits oben, zum Vortrag über Nachfragemacht). Der Pariser Rechtsanwalt Jean Louis Fourgoux präsentierte dazu den internationalen Bericht, der sich aus 10 nationalen Berichten zusammensetzte. Insgesamt wurde deutlich, dass es in den meisten Jurisdiktionen äußerst wenig Fälle betreffend Einkaufskartelle gab, manche liegen Jahre zurück. Die Grenzen zwischen Einkaufskooperationen und Einkaufskartellen scheinen zu "verschwimmen", denn schließlich zielten beide Formen auf eine Reduktion des Einkaufspreises ab. Guidelines bzw Beratungen durch die Wettbewerbsbehörden könnten für die Unternehmen bei der vertraglichen Ausgestaltung solcher Kooperationen sehr hilfreich sein. Anzudenken wäre auch eine verpflichtende Notifikation für große Einkaufsgemeinschaften, wie das zum Beispiel in Frankreich der Fall ist.
Frage B war dem Problem der – oft auch bösgläubig – zu weit gefassten Markenanmeldungen und der damit einhergehenden „Verstopfung“ der Markenregister gewidmet. Hier standen insbesondere Fragen des Schutzumfanges registrierter Marken und des Benützungszwangs für eingetragene Waren und Dienstleistungen im Fokus und wurde dabei speziell die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Sky v SkyKick“ erörtert. Darüber hinaus wurden die unterschiedlichen Konzepte des Nachweises der Bösgläubigkeit bei Markenanmeldungen in Europa und den USA bzw GB diskutiert. Angesichts der Fülle von registrierten Marken sei eine Bereinigung der Markenregister wünschenswert, um neuen Marktteilnehmern den Schutz von Marken zu ermöglichen.
Im Anschluss an die beiden Arbeitssitzungen berichtete der aus Kiew über eine Videoverbindung zugeschaltete Staatskommissar des Antimonopolkomitees der Ukraine, Serhiy Shershun, über die Entwicklung und den Vollzug des Wettbewerbsrechts in der Ukraine. Angesichts der schwierigen gegenwärtigen Situation in der Ukraine bzw in Kiew, wo 2013 eine LIGA-Tagung stattgefunden hatte, wurde dieser Vortrag seitens der Teilnehmer mit besonderer Anteilnahme verfolgt.
Den inhaltlichen Abschluss des Kongresses bildete eine Podiumsdiskussion unter der Leitung von Björn Lundquist, Professor an der Universität Stockholm, über das Recht auf Datenerhebung, Datenzugriff und Datenübermittlung.
Ausblick
Der nächste Jahreskongress wird vom 7. bis 9. November 2024 in London und der Jahreskongress 2025 wird vom 09.10. bis 12.10.2025 erfreulicherweise wieder in Wien stattfinden. Für die Jahre danach werden Bukarest und Berlin ins Auge gefasst.
Weitere Informationen und Details über die LIGA und deren Tagungen (samt Berichten und Resolutionen) sind auf der Website der LIGA unter www.ligue.org bzw der österreichischen Landesgruppe der LIGA im Rahmen der ÖV (Österreichische Vereinigung für gewerblichen Rechtschutz und Urheberrecht) unter www.oev.or.at zu finden.
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