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BGH: Irreführende Werbung mit „klimaneutral“10.07.2024

Laut dem deutschen Bundesgerichtshof ist die Werbung mit „klimaneutral“ irreführend, wenn nicht schon in der Werbung selbst die Bedeutung dieses Begriffes klar erläutert wird.

Das mit Spannung erwartete Urteil des BGH vom 27. Juni 2024 – I ZR 98/23 erging in einem UWG-Verfahren der deutschen Wettbewerbszentrale gegen einen Süßwarenhersteller, der Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz herstellt. Die Süßwaren waren in einem Lebensmittel-Fachmagazin mit der Aussage "Seit 2021 produziert [die Beklagte] alle Produkte klimaneutral" beworben worden. Darunter befand sich ein rundes, einem Kreisverkehr nachgebildetes Logo und wurde daneben das Wort „Klimaneutral“ wiederholt. Unter diesem Wort stand in kleinerer Schrift „Produkt“ und war darunter angegeben: „ClimatePartner.com/14843-2012-1001“, ergänzt durch einen QR-Code, der zur Website www.climatepartner.com/de führte. Das runde Logo sowie die Worte „Klimaneutral“, „Produkt“ und „ClimatePartner.com/14843-2012-1001“ fanden sich auch auf den Produktverpackungen.

Die Wettbewerbszentrale sah darin ein unlauteres, irreführenden Greenwashing, weil die Herstellung der Produkte aufgrund der Freisetzung von CO2 – unbestritten – nicht klimaneutral sei und sich die „Klimaneutralität“ hier lediglich aus CO2-kompensatorischen Maßnahmen des Herstellers ergebe, worüber nicht entsprechend aufgeklärt werde.

Die unteren Instanzen (Landgericht Kleve, OLG Düsseldorf) wiesen die Unterlassungsklage ab. Es sei zwar eine Aufklärung darüber erforderlich, ob die in der Werbung behauptete Klimaneutralität durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werde; jedoch seien im konkreten Fall die räumlichen Beschränkungen des Kommunikationsmittels zu berücksichtigen und habe in der Zeitschrift der Platz dafür gefehlt. Es sei dem Leser zuzumuten, für nähere Informationen eine ohne weiteres abrufbare Website aufzusuchen.

Der BGH bestätigte dagegen die Rechtsansicht der Wettbewerbszentrale und untersagte diese Werbung mit „klimaneutral“ wegen Irreführung des Publikums. Zusammengefasst führte das Höchstgericht in seiner Begründung Folgendes aus:

Bei umweltbezogenen Angaben gelten ebenso wie bei gesundheitsbezogenen Angaben strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage. Fehlen die danach gebotenen aufklärenden Hinweise in der Werbung oder sind sie nicht deutlich sichtbar herausgestellt, besteht in besonders hohem Maße die Gefahr, dass bei den angesprochenen Verkehrskreisen irrige Vorstellungen über die Beschaffenheit der angebotenen Ware hervorgerufen werden und sie dadurch in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst werden. Zu berücksichtigen ist hier überdies auch der allgemeine Grundsatz, dass der Werbende im Fall der Mehrdeutigkeit seiner Werbeaussage die verschiedenen Bedeutungen gegen sich gelten lassen muss.

Im konkreten Fall besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt des Begriffs "klimaneutral" und sind an die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen, aufklärenden Hinweise strenge Anforderungen zu stellen. Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, dass diese Anforderungen bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen umweltbezogenen Begriff verwendet, regelmäßig nur dann erfüllt sein werden, wenn bereits in der Werbung selbst eindeutig und klar erläutert wird, welche konkrete Bedeutung hier maßgeblich ist. Eine solche Erläuterung ist im Streitfall insbesondere deshalb zur Aufklärung erforderlich, weil die Reduktion und die Kompensation von CO2-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität sind. Vielmehr gilt der Grundsatz des Vorrangs der Reduktion gegenüber der Kompensation.

Die Annahme des Berufungsgerichts, dem Durchschnittsverbraucher sei bekannt, dass eine Klimaneutralität in der Praxis sowohl durch Vermeidung von Emissionen als auch durch Kompensationsmaßnahmen (zum Beispiel Zertifikatehandel) erreicht werden könne, ist zwar nicht erfahrungswidrig. Allerdings hat das Berufungsgericht den Verwendungskontext des Begriffs "klimaneutral" in der konkreten Anzeige unberücksichtigt gelassen, zumal die Beklagte die werbliche Angabe "klimaneutral" hier nicht auf ihr Unternehmen, sondern ausdrücklich auf die Produktion der von ihr vertriebenen Erzeugnisse bezogen hat. Auch aus dem Hinweis auf die Website eines Klima-Partners ergibt sich kein anderes Ergebnis, weil die Beauftragung eines Partnerunternehmens zum Zwecke des Klimaschutzes auch den Einbau von Filteranlagen in der Produktion, die Unterstützung bei der Etablierung klimafreundlicher Herstellungsverfahren, die Belieferung klimaoptimierter Ausgangsstoffe oder eine Kombination dieser Maßnahmen zur Vermeidung von CO2-Emissionen bereits beim Produktionsprozess umfassen kann.

Ob der Verbraucher durch das Aufsuchen der Internetseite des Partnerunternehmens über dessen Kompensationsleistungen aufgeklärt wird, ist für die Frage der Irreführung durch eine Werbung, die - wie im Streitfall - selbst keinen aufklärenden Hinweis auf die Art und Weise der durch den Klima-Partner erbrachten Leistung enthält, ohne Bedeutung. Nach den für umweltbezogene Werbung geltenden strengen Maßstäben an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit einer solchen Werbeaussage sind außerhalb der Werbung selbst erfolgende, vom Verbraucher erst durch eigene Tätigkeit zu ermittelnde, aufklärende Hinweise nicht ausreichend. Der vom Berufungsgericht unter Hinweis auf § 5a Abs. 5 Nr. 1 dUWG aF und § 5a Abs. 3 Nr. 1 dUWG bei der Prüfung der Informationspflichtverletzung herangezogene Gesichtspunkt der räumlichen Beschränkung des gewählten Kommunikationsmittels ist für die Prüfung der Irreführung gemäß § 5 Abs. 1 dUWG ohne Bedeutung. Überdies ist weder vom Berufungsgericht festgestellt worden noch sonst ersichtlich, dass es aus räumlichen Gründen nicht möglich war, in der streitgegenständlichen Anzeige klar und deutlich entsprechende, zur Vermeidung einer Irreführung erforderliche aufklärende Hinweis aufzunehmen.

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