[EDITORIAL] von Christian Schumacher
"Harmoniebedürfnis"
Zuletzt wird viel über die ersten Erfahrungen mit dem UPC gesprochen. Rainer Beetz berichtet dazu aktuell und kurz zusammengefasst in jedem Heft und zum 1-jährigen Jubiläum der Einheitlichen Patentgerichtsbarkeit in diesem Heft in einem ausführlichen Beitrag (Seite 151). Nicht überraschend betreffen die ersten Erkenntnisse vorwiegend Fragen des Verfahrensrechts und der Verfahrenspraxis. Spannend wird sein, wie sich welche traditionellen Ansätze aus den verschiedenen Jurisdiktionen am Ende durchsetzen.
Im Verfahrensrecht, aber wohl noch viel mehr in der Verfahrenspraxis, unterscheiden sich die EU-MS weiterhin stark. Ich frage mich, ob die Einheitliche Patentgerichtsbarkeit das Potenzial hat, die Verfahrenspraxis im gewerblichen Rechtsschutz zu harmonisieren. Zuerst kommt das Patentrecht in den Sinn, weil es oft nicht nachvollziehbar – und insgesamt auch nicht wünschenswert – sein wird, dass ein Verfahren anders abläuft, je nachdem, ob es vor dem UPC oder vor den nationalen Gerichten in Österreich, Deutschland oder etwa Frankreich geführt wird. Eine einheitlichere Praxis könnte dann auch auf die anderen Schutzrechte überschwappen, soweit sich dort dieselben Fragen mit ähnlichem Harmonisierungsbedarf stellen.
Nehmen wir die Frage, ob es für einstweilige Verfügungen ein Dringlichkeitserfordernis gibt. Die österr Praxis kennt dieses Erfordernis nicht. Aus der dt Praxis bekommt man anderes mit: Die Dringlichkeit wird je nach Rsp der einzelnen OLG mit unterschiedlichen – mehr oder weniger konkreten – Fristen bemessen, wobei OLG-bezogen bereits nach einem Monat ein eV-Antrag nicht mehr möglich sein kann (was zur weiteren Frage führt, wann denn die Frist genau beginnt).
Wir in Österreich merken den Unterschied daran, dass man ohne Zeitdruck eine einvernehmliche Lösung suchen kann. Gerade in Grenzfällen – die im gewerblichen Rechtsschutz ja außerhalb der klaren Pirateriefälle fast die Regel sind – kann es weniger auf eine sofortige Unterlassung ankommen als darauf, eine weitere Beeinträchtigung für die nähere Zukunft zu vermeiden. Oder anders gesagt: Wenn die Beeinträchtigung stark und deren Abstellung dringend ist, wird ohnedies so rasch wie möglich eine eV beantragt; geht es eher um die Klärung einer Grenzfrage, sind oft Wochen oder Monate noch akzeptabel, um eine für beide Seiten annehmbare Lösung zu suchen und ohne nach einem umfassenden Verfahren ein Urteil und dessen Rechtskraft abwarten zu müssen.
Man kann nun ketzerisch fragen: Warum kann es für eine ausgewogene, harmonisierte Rechtsdurchsetzungspraxis in einem Land einer Dringlichkeit bedürfen und im anderen nicht? Und warum ist dieselbe Konstellation im Sprengel eines OLG noch ausreichend und im anderen nicht? Wenn die jeweils angewandten Grundsätze so zwingend wären, wie können sie sich dann so sehr unterscheiden? Hat das vielleicht eher einfach damit zu tun, dass man trotz Harmonisierung eigene Traditionen weiterführt?
Oder bei den unterschiedlichen Zugängen zur Wiederholungsgefahr und zu ihrem Wegfall: In Österreich fällt die Wiederholungsgefahr nach der Rsp beim Angebot eines Unterlassungsvergleichs erst dann weg, wenn der Belangte einen vollstreckbaren Unterlassungsvergleich anbietet, der aber auch – soweit berechtigt – die Urteilsveröffentlichung umfassen muss. Wird ein solcher Vergleich angeboten, muss der (potentielle) Kläger reagieren; ist die Frage des berechtigten Umfangs der angebotenen Urteilsveröffentlichung strittig, trägt der Kläger ein unangenehmes Risiko: Lehnt er das Angebot im Hinblick auf eine seiner Ansicht nach unzureichende Urteilsveröffentlichung ab, riskiert er die gesamte Abweisung des Unterlassungsanspruchs. Passt das zu moderner, effektiver Rechtsdurchsetzung?
Bei unseren dt Nachbarn fällt die Wiederholungsgefahr dagegen (bereits) weg, wenn eine durch ein angemessenes Vertragsstrafeversprechen gesicherte Unterlassungserklärung abgegeben wird. Kein Angebot eines vollstreckbaren Vergleichs ist nötig, keine Urteilsveröffentlichung muss angeboten werden ... Andererseits stellt sich die Frage, wann eine Vertragsstrafe angemessen ist.
All das wäre an den Vorgaben der RechtsdurchsetzungsRL zu messen: Zum Schutz des geistigen Eigentums müssen die Gerichte Anordnungen erlassen können, die dem Verletzer die weitere Verletzung untersagen; und die Gerichte müssen einstweilige Maßnahmen anordnen können, um eine drohende Rechtsverletzung zu verhindern oder die Fortsetzung angeblicher Rechtsverletzungen zu untersagen. Nun kann man sagen, dass diese offenen Bestimmungen weiterhin verschiedene Traditionen zulassen. Ich stelle aber die Frage: Hätte es nicht bereits die alten Traditionen gegeben, wäre es dann bei der Anwendung der 2004 erlassenen RechtsdurchsetzungsRL überhaupt zu einer solch unterschiedlichen Praxis gekommen – deren Vereinbarkeit mit der RechtsdurchsetzungsRL und deren Praxistauglichkeit im 21. Jhd man heute vielleicht zu wenig hinterfragt?
Ich warte gespannt darauf, wie man im Einheitlichen Patentgericht mit den Traditionen umgehen wird. Erste Entscheidungen zum Thema „Dringlichkeit“ gibt es ja schon. Wird es dann, wenn man im UPC eine einheitliche Linie gefunden haben wird, noch einen Grund geben, entgegenstehende Traditionen weiterzuführen?
Einen harmonischen Sommer wünscht Ihnen
Christian Schumacher
Nutzen Sie die Vorteile einer Mitgliedschaft bei der ÖVMitgliedsvorteile
Aufsätze und Entscheidungen mit Anmerkungen von Experten
jährlich 6 HefteAbo Bestellung bei ManzEditorial/Inhalt aktuelle Ausgabe
09.04.2025
WKO, Rudolf Sallinger Saal, Wiedner Hauptstraße 63, 1040 WienMehrBericht vergangenes Seminar