Rund 100 junge Wettbewerbsjuristen und -ökonomen nahmen an der diesjährigen Young Competition Law Scholar Conference von 4. bis 6. September in Wien teil, um in sechs Panels ein breites Spektrum aktueller Fragen des Wettbewerbsrechts zu erörtern.
Zu Beginn der Veranstaltung in der Universität Wien sprach Frau Dr. Natalie Harsdorf LL.M., Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), in einer Keynote über die sich nicht zuletzt durch die Digitalisierung wandelnde Landschaft der Wettbewerbsdurchsetzung. Angesichts der hohen Komplexität der digitalen Märkte äußerte sie Zweifel daran, ob der Digital Markets Act (DMA) mit seinem „self-enforcing“ Charakter die relevanten Probleme angemessen lösen könne. Sie betonte, dass auch den nationalen Behörden eine bedeutende Rolle bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts auf den digitalen Märkten zukommen werde. Für eine wirksame Bewältigung dieser Herausforderungen sei es unerlässlich, den institutionellen Rahmen zu stärken. Ein wichtiger Schritt nach vorn sei die jüngste Einrichtung einer eigenen Abteilung der BWB für Digitales, die Rekrutierung von spezialisierten Experten wie Datenanalysten und der generelle Ausbau des Personals gewesen. Darüber hinaus sei die Zusammenarbeit mit anderen nationalen Wettbewerbsbehörden ebenso von entscheidender Bedeutung für ein rasches und wirksames Handeln wie der Einsatz von Technologie zur Verbesserung der Durchsetzungsfähigkeiten. Der Vortrag berührte auch verschiedene andere Themen, darunter die Rolle des öffentlichen Interesses und der Nachhaltigkeit im Wettbewerbsrecht. Obwohl diese Faktoren traditionell nicht als wettbewerbsrechtliche Parameter gelten würden, könnten sie als Leitprinzipien für Durchsetzungsentscheidungen dienen.
Darüber hinaus wurde betont, wie wichtig Klarheit und Zielorientierung für die Wettbewerbsbehörden seien. Dies könne durchaus bedeuten, dass bei einigen Problemen andere Einrichtungen besser geeignet seien, die entsprechenden Aufgaben anzugehen. Auch nicht-wirtschaftliche Aspekte können für die Arbeit der Wettbewerbsbehörden relevant sein. Ein Beispiel, das Harsdorf anführte, sei die potenzielle Relevanz von Genderaspekten im Wettbewerbsrecht, insbesondere die Anwendung einer Gender-Linse auf die Marktdefinition und die entsprechende Prioritätensetzung für Behörden, die in letzter Zeit auch in OECD-Arbeitsgruppen viel diskutiert worden sei. Weiters betonte die Generaldirektorin, dass sowohl die eigenen Ermittlungen als auch die Kronzeugen- und Whistleblowing-Programme eine stetige Anzahl neuer kartellrechtlicher Fälle liefere, die untersucht werden müssen. Die BWB wollte sich in Zukunft verstärkt auch auf Fälle von Marktmachtmissbrauch konzentrieren.
Panel 1: Ziele des Wettbewerbsrechts
Silvia Retamales (Chilenisches Wettbewerbsgericht / Universidad de Chile) kritisierte die traditionelle Auffassung des Wettbewerbsrechts, welche ausschließlich auf die Förderung des Verbraucherwohls und der wirtschaftlichen Effizienz ausgerichtet sei, als zu eng und argumentierte, dass das Wettbewerbsrecht auch nichtwirtschaftliche Werte des Allgemeininteresses berücksichtigen sollte. Sie gibt einen Überblick über den historischen Kontext des Wettbewerbsrechts in den USA und der EU und zeigte, dass diese Gesetze ursprünglich dazu gedacht waren, soziale und wirtschaftliche Fragen wie die Verringerung der Konzentration und die Förderung des Wettbewerbs anzugehen.
Christiane Wakonig (BWB) beschäftigt sich mit dem Begriff der Fairness im europäischen Wettbewerbsrecht, insbesondere im Kontext des österreichischen Wettbewerbsrechts. Sie stellt fest, dass trotz der zunehmenden Bedeutung von Fairness im wettbewerbsrechtlichen Diskurs deren Bedeutung und Tragweite unklar bleiben. Sie argumentiert, dass Fairness ein vielschichtiges Konzept sei, das auf unterschiedliche Weise verstanden werden kann, wie zB verfahrensrechtlich als Gewährleistung einer fairen Behandlung in Wettbewerbsverfahren oder materiellrechtlich als Gewährleistung fairer Wettbewerbsergebnisse.
Panel 2: Instrumente des Wettbewerbsrechts
Selçukhan Ünekbas (Europäisches Hochschulinstitut) argumentierte in seinem Vortrag, dass das Kartellrecht heute darauf abzielt, wettbewerbsfähige Märkte durch den Schutz der Effizienz zu fördern, sein Fokus jedoch stärker auf die dynamische Effizienz verlagert werden sollte. Er schlägt Parameter wie Innovation, Kostensenkung und Markteintritt vor, da diese Faktoren das langfristige Wohlergehen beeinflussen. Er kritisiert den derzeitigen Mainstream-Ansatz der statischen Effizienz im EU-Recht, der Unternehmen auf der Grundlage kurzfristiger Kosten-/Preisstrukturen bewertet, und schlägt vor, stattdessen einen Rahmen für "Fähigkeiten" aufzunehmen.
Annika Stöhr (TU Ilmenau) konzentrierte sich in ihrem Vortrag auf § 19a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der sich an große digitale Unternehmen mit "überragender Bedeutung für den Wettbewerb in allen Märkten" richtet. Stöhr erörterte das zweistufige Verfahren zur Benennung solcher Unternehmen und zum Verbot bestimmter schädlicher Verhaltensweisen, wobei er sich auf frühe Fälle konzentrierte, an denen Unternehmen wie Alphabet, Meta, Amazon und Apple beteiligt waren. Insgesamt sieht sie erste Erfolge bei der Eindämmung wettbewerbswidrigen Verhaltens, weist aber auch auf Herausforderungen bei der Durchsetzung und weiteren Verfeinerungsbedarf hin.
Panel 3: Zukunft der wettbewerbsrechtlichen Abhilfemaßnahmen
Elaine Dunne (DLA Piper, Dublin) kritisierte den derzeitigen Ansatz zur Gestaltung von Abhilfemaßnahmen bei der Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts und plädierte für einen proaktiveren und flexibleren Rahmen. Sie skizzierte die Grenzen bestehender Abhilfemaßnahmen, insbesondere den Rückgriff auf Unterlassungsverfügungen, die oft nicht in der Lage sind, die Wettbewerbsbedingungen wirksam wiederherzustellen, wie u. a. im Fall Google Shopping zu sehen ist. Sie schlägt einen iterativen oder gestaffelten Ansatz für die Gestaltung von Abhilfemaßnahmen vor, einschließlich der Einführung von Ex-post-Überprüfungsmechanismen, um Abhilfemaßnahmen auf der Grundlage ihrer Wirksamkeit im Laufe der Zeit zu überwachen und anzupassen.
Linus Hoffmann (University of Strathclyde) konzentrierte sich auf die traditionelle Unterscheidung zwischen strukturellen und verhaltensorientierten Abhilfemaßnahmen im Wettbewerbsrecht. Ihm zufolge verschwimmt diese ehemals klare Unterscheidung in der digitalen Wirtschaft, in der Wert aus Informationsressourcen wie Daten und Webverkehr extrahiert wird. Hoffmann vertritt die Auffassung, dass die Kontrolle oder das Eigentum von Unternehmen nicht unbedingt die Kontrolle über diese Ressourcen garantiert und dass sich die Gestaltung von Abhilfemaßnahmen auf die Erhöhung oder Verringerung der Kontrolle der Unternehmen über Informationsressourcen konzentrieren sollte.
Panel 4: Wettbewerbsrecht und der doppelte Übergang
Luca Graf und Giulia Aurélie Sonderegger (beide Universität Zürich) befassten sich mit der Anwendung von Artikel 102 AEUV auf Missstände auf landwirtschaftlichen Arbeitsmärkten. Sie schlagen vor, dass das Konzept der marktbeherrschenden Stellung an Arbeitsmärkte angepasst werden kann, auf denen ein einzelner Arbeitgeber als marktbeherrschender Akteur angesehen werden kann, und dass bei der Bewertung der beherrschenden Stellung die Besonderheiten der Arbeitsmärkte, wie z. B. die Verwundbarkeit von Wanderarbeitnehmern, berücksichtigt werden sollten.
Panel 5: Wettbewerbsrecht, Krise und Geoökonomie
Nicole Deneka (Doktorandenschule der Universität der Nationalen Bildungskommission Krakau) untersuchte den Ansatz der Europäischen Kommission für staatliche Beihilfen in internationalen Krisen wie der Finanzkrise 2007-2009, der COVID-19-Pandemie und der russischen Aggression gegen die Ukraine. Sie argumentiert, dass die befristeten Krisenrahmen der Kommission darauf abzielen, die Notwendigkeit, betroffene Unternehmen und Sektoren zu unterstützen, mit der Notwendigkeit, die Integrität des EU-Binnenmarkts zu wahren, in Einklang zu bringen.
Sophie Bohnert (Wirtschaftsuniversität Wien) wies in ihrem Vortrag darauf hin, dass die Trennung zwischen Handels- und Wettbewerbspolitik künstlich und problematisch sei und dass ein stärker integrierter Ansatz erforderlich sei, um den Herausforderungen der aktuellen globalen Wirtschaftsordnung zu begegnen. Sie behauptet, dass der "wirtschaftlichere Ansatz" im Wettbewerbsrecht, der dem Wohl der Verbraucher und der Allokationseffizienz Vorrang einräumt, zu eng gefasst sei und andere wichtige Erwägungen wie Fairness, Verteilungsfragen und öffentliches Interesse ignoriere.
Pierfrancesco Mattiolo (Universiteit Antwerpen) analysierte die Verordnung über ausländische Subventionen (FSR) und ihre Auswirkungen auf das EU-Wettbewerbsrecht, insbesondere im Zusammenhang mit Fusionen und Übernahmen. Er argumentiert, dass die FSR eine neue Regelung einführt, die die traditionellen Instrumente des EU-Wettbewerbsrechts ergänzt und es der Kommission ermöglicht, von ausländischen Unternehmen orchestrierte Operationen zu überprüfen und wirtschaftliche und geopolitische Erwägungen zu berücksichtigen.
Panel 6: EU-Wettbewerbsrecht außerhalb der EU
Richard Bunworth (University College Dublin) argumentierte, dass die Europäische Union ihren Einfluss durch den "Brüssel-Effekt" nutzen sollte, um ihre sozialen Werte im Wettbewerbsrecht zu fördern, und zwar über den traditionellen wirtschaftlichen Fokus der Disziplin hinaus. Die sozialen Werte der EU, wie die Gleichstellung der Geschlechter und der Rasse, die wirtschaftliche Gleichheit und die ökologische Nachhaltigkeit, spiegeln sich in ihren verfassungsmäßigen Grundlagen wider und sollten in das Wettbewerbsrecht aufgenommen werden.
Tamta Margvelashvili (Ivane Javakhishvili Tbilisi State University) diskutierte die Integration von Trends bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts für digitale Plattformen in die östliche Partnerschaft. Sie argumentiert, dass die EU die Durchsetzung des Wettbewerbs auf dem digitalen Markt als eine wichtige Säule der Beitrittsgespräche mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft, insbesondere Georgien, der Ukraine und der Republik Moldau, einbeziehen sollte. Margvelashvili vertritt die Ansicht, dass die traditionellen, auf die Marktdynamik ausgerichteten Wettbewerbsgesetze der ÖP-Länder für den EU-Beitritt unzureichend sind.
Abschließende Keynote und Podiumsdiskussion zur EU-Wettbewerbsfähigkeit in einer globalisierten Welt
In seiner Keynote zum Thema "EU-Competitiveness in a Globalized World: Competition Law and Innovation vs. Regulation" ging Chris Meyers (Amazon) auf die Unterschiede zwischen Europa und den USA in Bezug auf Innovation ein und wies auf die geringeren Investitionen in Europa in Forschung und Entwicklung, weniger Einhorn-Unternehmen und deutlich weniger skalierte KI-Unternehmen im Vergleich zu den USA hin. Er äußerte zudem die Befürchtung, dass das Wettbewerbsrecht politisiert, grundlegende Rechtsbegriffe verwischt und eine uneinheitliche Anwendung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten entstehen. Er äußerte sich auch unsicher über die Durchsetzung des Digital Markets Act und äußerte Zweifel daran, ob die vagen und undefinierten Rechtskonzepte des DMA es ihm ermöglichen würden, sich selbst durchzusetzen.
In einer Podiumsdiskussion diskutierte Chris Meyers gemeinsam mit Tabea Bauermeister (Universität Regensburg), Martin Gassler (Wolf Theiss), Heike Lehner (freie Ökonomin) und Florian Tursky (ehemaliger Staatssekretär für Digitalisierung in Österreich) über das Thema. Die Teilnehmer betonten die anhaltenden Herausforderungen, vor denen Europa bei der Förderung von Innovationen steht, insbesondere angesichts komplexer Vorschriften wie des DMA, die wirtschaftlichen Ziele möglicherweise nicht immer genau widerspiegeln und erreichen. Darüber hinaus wurden Bedenken hinsichtlich der Starrheit des Wettbewerbsrechts im Allgemeinen geäußert und mehr Flexibilität gefordert, um dynamischen Marktentwicklungen Rechnung zu tragen.
Die 12 auf der Konferenz vorgestellten Beiträge werden nun für die Veröffentlichung im Tagungsband vorbereitet. Dieser erscheint als zweiter Band der neu gegründeten Reihe "Junges Kartellrecht" bei Nomos.
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