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Editorial und Inhalt

ÖBl [2024] 6 Seiten 253 - 300

[EDITORIAL] von Rainer Beetz
"Halber Geschmacksverlust & (nicht nur) Geschmacksfragen"


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Halber Geschmacksverlust & (nicht nur) Geschmacksfragen

Wie Sie in dem lesenswerten Beitrag „Designrecht updated“ (ÖBl 2024/71 in diesem Heft Seite 255) von Clara Baumgartner erfahren werden, verlieren wir im IP-Recht unseren Geschmack leider doch nicht vollständig. Es wäre zu schön gewesen, hätte man bei einer Erstanfrage nach einem „Musterschutz“ nicht mehr nachfragen müssen: Wollen Sie das äußere Erscheinungsbild durch ein Geschmacksmuster oder eine technische Neuerung durch ein Gebrauchsmuster schützen? Zu verdanken haben wir die musterhaften Sprachschöpfungen bekanntlich unserem deutschen Nachbarn, der bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Möglichkeit vorgesehen hatte, physische „Muster“ beim Patentamt zu hinterlegen, um so das äußere Erscheinungsbild, also den Geschmack, durch das eine Schutzrecht und einen bestimmten Gebrauchszweck durch ein anderes Schutzrecht zu schützen. Unser Nachbar hat sich aber schon weit vor der Corona-Pandemie einem freiwilligen Geschmacksverlust unterzogen und am 1. 1. 2014 das „Geschmacksmustergesetz“ in „Designgesetz“ umbenannt. Den Vorgaben der EU-Designrichtlinie entsprechend werden wir nun auch in Österreich ein „Designgesetz“ bekommen. Es bleibt jedoch rätselhaft, warum uns der europäische Gesetzgeber nicht vollständig von etwaigen Geschmacksverwirrungen befreit hat und warum er die anachronistische und missverständliche Bezeichnung in der Neufassung der „Unionsdesignverordnung“ (schön wär’s) weiterleben lässt – hierbei handelt es sich aber bloß um eine Geschmacksfrage.

 Dass die behauptete Verletzung eines Geschmacksmusters, insb gegenüber Online-Vertriebsplattformen (wie zB A***), ein durchschlagskräftiges Instrument sein kann und es nicht nur eine Geschmacksfrage ist, ob hierin eine Tatsachenbehauptung oder eine Werturteil zu sehen ist, und welche Folgen dies für die Beweislast hinsichtlich der Schutzrechtsverletzung hat, zeigt Rainer Schultes in einer ebenfalls überaus lesenswerten Glosse (ÖBl 2024/78 in diesem Heft Seite 277) zur OGH-E Trinkflaschen-Schutzhülle[1] auf.

Seit der UPC seine Tätigkeit aufgenommen hat, können Europäische Patente (zumindest innerhalb der ersten neun Monate nach Erteilung) je nach Geschmack beim EPA, beim UPC oder auch zugleich beim EPA und beim UPC angefochten werden. Das Zusammenspiel dieser parallelen Anfechtungsverfahren ist rechtlich weitgehend ungeregelt; die EPGÜ-VerfO sieht lediglich vor, dass das Gericht das Verfahren aussetzen kann, wenn eine rasche Entscheidung des EPA zu erwarten ist. Dass solche Aussetzungen nicht nach seinem Geschmack sind, machte das Gericht schnell klar.[2]  Mit Spannung wurde die erste Nichtigkeitsentscheidung erwartet – würde der UPC bei der Bewertung der erfinderischen Tätigkeit den von der Rsp des EPA entwickelten Aufgabe-Lösungs-Ansatz anwenden, der auch gem der österr Rsp[3] zur Anwendung kommt? Nach der ersten materiellrechtlichen Nichtigkeitsentscheidung sieht es nicht danach aus. Vielmehr erkannte die LK München,[4] dass die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit mit einem realistischen Ausgangspunkt im Stand der Technik beginnt und es – entgegen dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz – nicht erforderlich ist, den vielversprechendsten Ausgangspunkt zu identifizieren. Im Allgemeinen sei eine beanspruchte Lösung naheliegend, wenn der Fachmann motiviert wäre, die beanspruchte Lösung in Betracht zu ziehen und sie als nächsten Schritt bei der Weiterentwicklung des Stands der Technik umzusetzen. Hierbei könne relevant sein, ob der Fachmann bei den nächsten Schritten mit besonderen Schwierigkeiten gerechnet hätte. Das Fehlen einer berechtigten Erfolgserwartung ergebe sich nicht allein daraus, dass im Stand der Technik auch andere Lösungswege vorgeschlagen werden und/oder von anderen verfolgt wurden. Die entscheidende Frage, die beantwortet werden müsse, sei, ob die beanspruchte Lösung naheliege. Die Definition einer objektiven technischen Aufgabe erachtet die LK München somit nicht für erforderlich.

Man kann nun trefflich darüber diskutieren, ob dieser Prüfungsansatz nicht ohnedies zum gleichen Ergebnis führt wie der Aufgabe-Lösungs-Ansatz und ob die Wahl des Prüfungsansatzes somit eine bloße Geschmacksfrage ohne rechtliche Konsequenz ist. Vieles spricht aber dafür, dass dem nicht so ist und dass der nächste Schritt bei der Weiterentwicklung des Stands der Technik häufig einfacher zu vollziehen ist als die Lösung einer objektiven technischen Aufgabe. Da die E (inkl des zugesprochenen Kostenersatzes von insgesamt 2,75 Mio Euro) wohl nicht nach dem Geschmack der Patentinhaberin war, bleibt zunächst abzuwarten, ob der angewendete Prüfungsansatz den Geschmack des Berufungsgerichts getroffen hat.

Wir werden berichten und hoffen, jedenfalls mit dieser Ausgabe wieder Ihren Geschmack getroffen zu haben.



[1] OGH 19. 3. 2024, 4 Ob 185/23v, Trinkflaschen-Schutzhülle.

[2] ZK München 20. 11. 2023, UPC 80/2023, Astellas; ZK Paris 25. 4. 2024, CFI 361/ 2023, Toyota.

[3] OGH 22. 9. 2015, 4 Ob 17/15a, Gleitlager.

[4] ZK München 16. 7. 2024, UPC 14/2023, Amgen.

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