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Neue Produkthaftungsrichtlinie der EU12.02.2025

Die jüngst in Kraft getretene EU-Richtlinie hat die Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG aus dem Jahr 1985 ersetzt. Die Mitgliedstaaten haben binnen zwei Jahren die neuen Regelungen für die verschuldensunabhängige Haftung für fehlerhafte Produkte umzusetzen.

Die neue ProdukthaftungsRL (EU) 2024/2853 ist am 8. Dezember 2024 in Kraft getreten. Die bisherige Richtlinie, auf der auch das österreichische Produkthaftungsgesetz (PHG) beruht, war nach 40 Jahren aufgrund der neuen Technologien sowie neuer globaler Geschäftsmodelle zu überarbeiten. Die Richtlinie behält den Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung für Schäden durch fehlerhafte Produkte bei. Wie bisher reicht es ohne Nachweis einer Fahrlässigkeit oder eines Vorsatzes aus, wenn ein Produkt in einem bestimmten Moment fehlerhaft ist und dadurch ein Schaden entsteht. Gleichzeitig wird der Anwendungsbereich der Richtlinie jedoch erheblich ausgeweitet und werden zudem bedeutende Erleichterungen für die Durchsetzung von Ersatzansprüchen eingeführt.

Eine wesentliche Änderung betrifft die Erweiterung des Produktbegriffs, der nun ausdrücklich auch Software umfasst (wie Programme, Betriebssysteme, Firmware, Anwendungen und KI-Systeme). Damit sollte klargestellt werden, dass es sich bei Software unabhängig von der Art ihrer Bereitstellung oder Nutzung und unabhängig davon, ob sie auf einem Gerät gespeichert oder über ein Kommunikationsnetz oder eine Cloud abgerufen wird, für die Zwecke der verschuldensunabhängigen Haftung um ein Produkt handelt. Fehlerhafte Software oder Programmierfehler können damit zu einer entsprechenden Haftung des Herstellers führen. Dies gilt auch für Produkte, die auf autonomen Systemen bzw KI basieren, etwa wenn ein selbstfahrendes Auto aufgrund eines Softwarefehlers einen Unfall verursacht. Digitale Dateien als solche sind weiterhin keine Produkte (auch nicht freie und quelloffene Software, die außerhalb einer gewerblichen Tätigkeit bereitgestellt wird), hingegen gelten digitale Konstruktionsunterlagen ebenso wie Elektrizität und Rohstoffe nunmehr explizit als Produkte, die in den Anwendungsbereich der RL fallen.

Die neue Produkthaftungsrichtlinie definiert den Fehlerbegriff neu. Im Gegensatz zur alten Richtlinie von 1985, die sich ausschließlich auf die berechtigte Sicherheitserwartung stützte, berücksichtigt die neue RL sowohl die Sicherheitserwartungen einer Person als auch die gesetzlichen Sicherheitsvorgaben („die Sicherheit, die gemäß Unionsrecht oder nationalem Recht vorgeschrieben ist“). Wie schon bisher enthält auch die neue Richtlinie eine nicht abschließende Liste von Beispielen für „Fehlerhaftigkeit“. Der Fehlerbegriff legt nun einen stärkeren Fokus auf die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts. So kann das Eingreifen einer Behörde aus Gründen der Produktsicherheit, wie etwa ein Produktrückruf, als Hinweis auf einen Fehler des Produkts gewertet werden. Bei der Beurteilung der Fehlerhaftigkeit ist auch die Kontrolle des Herstellers über das Produkt nach dessen Inverkehrbringen – zB durch die Möglichkeit von Updates – zu berücksichtigen.

Der Kreis der haftenden Wirtschaftsakteure wird deutlich erweitert. Neben Herstellern, Importeuren und Händlern können auch Bevollmächtigte des Herstellers, Softwareentwickler, Fulfillment-Dienstleister (wie Lager-, Verpackungs- und Versanddienstleister) sowie – unter bestimmten Voraussetzungen – sogar die Betreiber von Online-Marktplätzen haftbar gemacht werden, insbesondere wenn der Schädiger nicht ermittelbar ist. Darüber hinaus gilt jede natürliche oder juristische Person, die ein Produkt außerhalb der Kontrolle des Herstellers wesentlich verändert und es anschließend auf den Markt bringt, als Hersteller dieses Produkts.

Der ersatzfähige Schaden umfasst künftig auch den Verlust oder die Beschädigung von Daten, die nicht für berufliche Zwecke verwendet werden. Der Ersatzanspruch umfasst alle Vermögensschäden und erstreckt sich auch auf immaterielle Schäden, soweit für diese nach nationalem Recht eine Entschädigung verlangt werden kann.

Die neue Richtlinie erleichtert die Beweislast für die Geschädigten durch Vermutungsregeln, wenn die Beweisführung aufgrund technischer oder wissenschaftlicher Komplexität des Produkts schwierig ist und ein Produktfehler und/oder ein Kausalzusammenhang mit dem eingetretenen Schaden zumindest wahrscheinlich ist. Zudem kann der Schädiger verpflichtet werden, in seiner Verfügungsgewalt befindliche, relevante Beweismittel offenzulegen, wenn der Kläger den Schadenersatzanspruch hinreichend plausibel begründet hat.

Die Richtlinie verlängert die Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche bei latenten Gesundheitsschäden von 10 auf 25 Jahre, wenn die Symptome – nach medizinischem Befund – erst verzögert auftreten. Dadurch entfällt die bisherige generelle Begrenzung der Produkthaftung auf zehn Jahre nach dem Inverkehrbringen des Produkts. Zudem werden einige Haftungsausschlüsse weiter eingeschränkt.

Die neue Richtlinie legt auch besonderen Wert auf die Informationspflichten der Hersteller. Sie müssen den Verbrauchern klare und verständliche Informationen über mögliche Risiken von Produkten geben – insbesondere bei Produkten, die digitale oder KI-Technologie nutzen.

Insgesamt stellt die neue Produkthaftungsrichtlinie einen wichtigen Schritt dar, um in einer zunehmend technologiegeprägten Welt die Haftung für Schäden durch fehlerhafte Produkte umfassend zu gewährleisten – unabhängig davon, ob es sich um physische Geräte oder digitale Lösungen handelt. Die Vorgaben der EU sollten bei entsprechender Umsetzung durch die Mitgliedstaaten nicht nur zu mehr Rechtssicherheit für die Verbraucher führen, sondern auch den Unternehmen helfen, mögliche Haftungsrisiken besser kalkulieren zu können.

 

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