[EDITORIAL] von Rainer Beetz
"BSH - Bedeutung sicherlich hoch"
BSH – Bedeutung Sicherlich Hoch
RAINER BEETZ
ÖBl 2025/28
Bisher ging man aufgrund der Rsp des EuGH davon aus, dass ein Bekl, an dessen Sitz eine Klage wegen einer Patentverletzung anhängig ist, mit dem Nichtigkeitseinwand mit Erfolg auch die Einrede der Unzuständigkeit verbinden kann, sofern das Klagspatent, dessen Nichtigkeit behauptet wird, außerhalb des Territoriums des Staates des angerufenen Gerichts gültig ist.[1] Der EuGH ist nunmehr in seiner richtungsweisenden E BSH Hausgeräte[2] von dieser Rsp zur Auslegung von Art 24 Abs 4 Brüssel Ia-VO abgegangen: Wird die Klage wegen Verletzung eines Patents, das in einem Territorium außerhalb des Sitzstaates des Bekl gültig ist, erhoben, behält das Gericht auch bei Erhebung eines Nichtigkeitseinwand hinsichtlich dieses Patents die Zuständigkeit für das Verletzungsverfahren (vgl in diesem Heft ÖBl 2025/30 [105]). In einer knappen und gut begründeten Entscheidung folgt der EuGH im Wesentlichen den beiden in dieser Rs erlassenen und überaus lesenswerten Schlussanträgen von GA Emiliou.[3]
Zutreffenderweise differenziert der EuGH zwischen Patenten aus einem EU-MS und jenen, die in einem Drittstaat erteilt wurden. Im Falle von Patenten aus EU-MS normiert Art 24 Abs 4 Brüssel Ia-VO ausdrücklich, dass die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Gültigkeit ausschließlich den Gerichten dieses anderen EU-MS zukommt. Für Drittstaaten gilt diese Spezialnorm hingegen nicht, so dass das am Sitz des Bekl angerufene Gericht grundsätzlich auch über einen Nichtigkeitseinwands inter partes absprechen kann. In beiden Fällen behält das Gericht am Sitz des Bekl die Zuständigkeit für das Verletzungsverfahren, wodurch es, sofern ein Bekl Verletzungshandlungen in mehreren Staaten begangen hat, deutlich attraktiver wird, ein grenzüberschreitendes Unterlassungsurteil am Sitz des Bekl einzuklagen.
Mangels Sachverhaltsgrundlage erwähnt der EuGH in seiner Entscheidung den UPC kein einziges Mal – aber gerade iZm dem UPC stellen sich viele spannende Fragen: Werden grenzüberschreitende Patentverletzungsverfahren vor nationalen Gerichten nun zu einer ernsthaften Konkurrenz zu Verfahren vor dem UPC? Eröffnet die Entscheidung neue Möglichkeiten für den UPC? Unter welchen Voraussetzungen ist eine UPC-Klage am Sitz des Bekl angebracht?
Vor Inkrafttreten des EPGÜ wurden die Regeln über die internationale Zuständigkeit innerhalb der EU durch die Brüssel Ia-VO vereinheitlicht. Gem Art 71a gilt der UPC als ein Gericht eines MS und der UPC ist gem Art 71b Brüssel Ia-VO zuständig, wenn die Gerichte eines MS für den Rechtsstreit zuständig wären. Somit ist für die Sitzzuständigkeit ausreichend, wenn der Bekl seinen Sitz in einem EGPÜ-MS, sozusagen in UPC-Land, hat. Im Vergleich zum Sitzerfordernis im Fall der Zuständigkeit eines einzelstaatlichen Gerichts eröffnet dies für den Kl aus strategischer Sicht natürlich ganz andere Möglichkeiten, kann er doch weiterhin frei zwischen allen Lokal- und Regionalkammern des UPC wählen. Ob der Gesetzgeber wirklich intendiert hatte, dass zB ein süditalienisches Unternehmen bei der Nordisch-Baltischen Kammer des UPC als seinem Sitzgericht aufgrund einer Verletzung zB des türkischen Teils eines EP geklagt werden kann, erscheint eher zweifelhaft, ist nun aber bereits stRsp des UPC.[4]
Somit kann der Kl in einem einzigen Verfahren ua Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche nicht nur für EPGÜ-MS, sondern für sämtliche EPÜ-MS, unabhängig davon ob EU-MS (zB Spanien oder Polen) und EU-Drittstaat (zB Großbritannien oder die Schweiz), einklagen. Da die Zuständigkeit des UPC auf EP und ergänzende Schutzzertifikate beschränkt ist,[5] kann der UPC aber – anders als ein nationales Gericht – nicht sogleich auch über nationale Patente absprechen.
Aus Sicht des Klägers eröffnet die BSH-Entscheidung somit völlig neue Möglichkeiten und der UPC wird somit für Patentinhaber nochmals deutlich attraktiver. Höchst unattraktiv wird es hingegen aus staatlicher Sicht eines EU-MS (zB Spanien, Polen, Tschechische Republik), nicht am EPGÜ teilzunehmen, wird nun doch sehr häufig von einem supranationalen Gericht anderer EU-MS über Verletzungshandlungen in Nicht-EPGÜ-MS abgesprochen werden. Dass der UPC nicht gedenkt, im Falle eines Nichtigkeitseinwands bzw der Erhebung einer Nichtigkeitsklage betreffend den nationalen Teil eines EP in einem Nicht-EPGÜMS das gesamte Verfahren auszusetzen, ist auch bereits klar.[6] Vielmehr wird in diesem Fall das Verfahren betreffend die Nicht-EPGÜ-MS abgetrennt werden und für die EPGÜ-MS (idR binnen 13 Monaten) eine Endentscheidung über die Verletzung und den Rechtsbestand getroffen werden. Sobald das nationale Gericht dann über den Rechtsbestand des EP-Teils, der nicht der Zuständigkeit des UPC unterfällt, abgesprochen hat, kann dann der UPC das Verletzungsverfahren auch für diesen Nicht-EPGÜ-MS fortsetzen. Dass ein nationales Gericht auf Basis der gleichen Rechtsgrundlage (Art 138 EPÜ) und – in aller Regel voraussichtlich – des gleichen tatsächlichen Vorbringens (insb des gleichen Stands der Technik) zu einem anderen Ergebnis als der UPC gelangt, erscheint höchst unwahrscheinlich. Aus der Sicht von bisher am EPGÜ nicht beteiligten EU-MS könnte es nun doch die deutlich attraktivere Option sein, mit Richtern aus dem Heimatland, einem Gerichtsstandort im Heimatland, etc am Einheitlichen Patentgerichtssystem der EU teilzunehmen. Gut möglich, dass BSH Hausgeräte dem UPC zu neuer Größe verhilft.
[1] EuGH 13. 7. 2006, C-4/03, GAT.
[2] EuGH 25. 2. 2025, C-339/22,BSH Hausgeräte.
[3] SA GA Emiliou 22. 2. 2024 und 5. 9. 2024, C-339/22, BSH Hausgeräte.
[4]LK Düsseldorf 28. 1. 2025, CFI 355/2023, FUJIFILM; LK Paris 21. 3. 2025, CFI 702/2024, IMC Créations; LK Mailand 8. 4. 2025, C 792/2024, Dainese.
[5] 5 Art 3 EPGÜ.
[6] LK Düsseldorf 2. 4. 2025, CFI 365/2023, FUJIFILM.
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